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Wir sind da, wenn was passiert

Die Demonstration "Freiheit statt Angst" findet an diesem Samstag zum fünften Mal in Deutschland statt. Nach dem Erfolg der digitalen Bürgerrechtsbewegung im Streit um die Vorratsdatenspeicherung fehlt zwar "der ganz große Aufreger", räumt Rena Tangens ein, die zu den Organisatoren der Demonstration gehört. Dennoch sei es wichtig zu zeigen: "Wir bleiben wachsam."

n-tv.de: Vor einem Jahr ging es bei der Demonstration "Freiheit statt Angst" um Themen wie Internetsperren, Vorratsdatenspeicherung und das ELENA-Verfahren zum elektronischen Einkommensnachweis. Wirtschaftsminister Brüderle überlegt mittlerweile, ELENA auf unbestimmte Zeit auszusetzen, die Internetsperren sind bereits ausgesetzt, und die Vorratsdatenspeicherung wurde im März vom Bundesverfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt. Wogegen wollen Sie noch protestieren?

Rena Tangens: Ja, wir sind verdammt erfolgreich. Wir haben als Bürgerrechtsbewegung schon wirklich viel erreicht. Aber eigentlich sind die Themen alle noch da. Mit der Demonstration "Freiheit statt Angst" wollen wir klar machen: Wir bleiben wachsam. Noch ist ELENA nicht erledigt. Die Regierung denkt verschärft über ein Moratorium nach. Das bedeutet aber nicht, dass ELENA gestoppt wäre, sondern es wird vielleicht aus Kostengründen eine Zeitlang ausgesetzt. Wir wollen ELENA dauerhaft stoppen. Deshalb halten wir auch an der Verfassungsbeschwerde fest.

Bei der Vorratsdatenspeicherung hatten Sie bereits Erfolg mit einer Verfassungsbeschwerde.

Dennoch will die CDU/CSU ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg bringen. Sie beruft sich dabei auf die europäische Richtlinie. Jetzt geht es uns darum, diese Richtlinie zu kippen.

Und die Internetsperren...

Da haben wir juristisch eine völlig verquere Situation. Wider besseres Wissen wurde ein Gesetz beschlossen, das für den Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch nichts bringt. Jetzt ist das Gesetz da, aber keiner will es mehr. Deshalb wurde der Vollzug ausgesetzt. Das geht eigentlich gar nicht: Die Internetsperren sind geltendes Recht, werden aber nicht angewendet. Vom Tisch ist das Gesetz damit nicht. Die Regierung wartet einfach, dass der Protest abflaut. Genau deshalb gehen wir auf die Straße. Wir wollen zeigen: Auch wenn im Moment nicht der ganz große Aufreger da ist, lassen wir uns von freundlichen Gesprächen allein nicht beruhigen. Wir wollen Taten sehen, wir wollen, dass die Überwachungsgesetze insgesamt auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden und dass IT-Großprojekte wie die Gesundheitskarte gekippt werden.

Ihnen fehlen die alten Feindbilder wie Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen - "Stasi 2.0" und "Zensursula" waren als Slogans ja sehr erfolgreich.

Das war die einfache Schablone, über Schäuble und von der Leyen konnte man sich leicht aufregen. Aber das Thema ist wesentlich komplexer und hängt nicht an einzelnen Personen. Es geht auch quer durch die Parteien. Keine Partei kann für sich allein beanspruchen, dass sie Bürgerrechte tatsächlich schützen würde. Deshalb ist die Bürgerrechtsbewegung auch so wichtig, um innerhalb aller Parteien Verbündete zu gewinnen, die sehen: Dies ist das große Thema der Zukunft! Die Digitalisierung sämtlicher Lebensäußerungen der Bürgerinnen und Bürgern wird unsere Entscheidungsmöglichkeiten einschränken, weil andere, die über diese Daten verfügen, für uns Entscheidung treffen und behaupten werden, sie würden zu unserem Besten handeln. Das betrifft die Wirtschaft genauso wie den Staat. Solche zentralen Datensammlungen gefährden ganz konkret unsere Freiheit.

Innenminister de Maizière hat im Frühjahr gesagt, er arbeite an einem neuen Vertrauen zwischen Staat und Netzgemeinde. Ist ihm das gelungen?

Der Tonfall hat sich von Schäuble zu de Maizière geändert. Aber auch Herr de Maizière ist für die Vorratsdatenspeicherung und für Online-Durchsuchungen. Es gibt eine Chance, dass zugehört wird. Aber solange sich an den Gesetzen nicht substantiell etwas ändert, wird es kein Vertrauen geben.

Sie demonstrieren für Datenschutz und ein freies Internet. Gibt es nicht einen gewissen Widerspruch zwischen Datenschutz und Transparenz? Wie weit geht die Transparenz, wo beginnt der Datenschutz?

Dieses Verhältnis werden wir immer wieder neu ausloten müssen, das ist ganz klar. Wir müssen immer abwägen, was für die Freiheit wichtig ist.

Wie fällt diese Abwägung bei Google Street View aus?

Da streitet man sich auch innerhalb der Bewegung. Ich denke nicht, dass es darum geht, das einzelne Häuschen gegen eine Fotografie zu verteidigen. Aber der substanzielle Unterschied zu einem Foto ist, dass ganze Straßenzüge, ganze Städte, ein ganzes Land via Street View verfügbar gemacht wird. Und es passiert bei Google. Jeder Mensch, der bei Google Abfragen macht, hinterlässt seinerseits Informationen über sich selbst. Das, kombiniert mit den vielen anderen Diensten von Google, ist eine Machtkonzentration, die wir keinem Unternehmen erlauben sollten.

2009 zählten Sie 25.000 Teilnehmer. Wie viele erwarten Sie in diesem Jahr?

Bei einigen Aktionen hatten wir in diesem Jahr sehr gute Mobilisierungen. Für die ELENA-Verfassungsbeschwerde hatten wir nur 14 Tage Zeit, weil wir das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung abwarten mussten und dann die Frist für die Versfassungsbeschwerde ablief. Innerhalb dieser kurzen Zeit haben uns 22.000 Leute eine Vollmacht für unseren Anwalt geschickt - auf Papier, nicht per Mail. Das war kein simpler Klick im Internet und keine schnelle Unterschrift auf einer Unterschriftenliste. Das hat mich umgehauen - 22.000 Unterstützer innerhalb von zwei Wochen! Wie viele Leute am Samstag zur Demo kommen, hängt von vielen Faktoren ab, nicht nur vom fehlenden zentralen Aufreger, auch vom Wetter. Wichtig ist aber vielleicht nicht, wie viele morgen auf der Straße sind. Wichtig ist es zu zeigen, dass es Leute gibt, die da sein werden, wenn wieder etwas passiert.

Hubertus Volmer

n-tv, 10. September 2010
Original: http://www.n-tv.de/politik/Wir-sind-da-wenn-was-passiert-article1463736.html

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