Mittlerweile werden mit der Vorratsdatenspeicherung Telefon- und Internetverbindungen sechs Monate lang erfasst. Die Installation von Überwachungskameras im öffentlichen Raum nimmt zu. Die geplanten Internetsperren sind dazu geeignet, den Zugang zu noch anderen als den beabsichtigten Webseiten zu erschweren. Und so weiter, und so fort.
Die Mitglieder des Bielefelder Vereins FoeBuD (Link) könnten diese Liste mit problematischen Eingriffen in die persönliche Freiheit mit Sicherheit ständig erweitern. Schließlich organisieren sie einmal jährlich die Verleihung der “Big Brother Awards” (Link). Der Verein gehört aber auch dem Bündnis “Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung” (Link) an und veranstaltete am vergangenen Samstag eine Großdemonstration in Berlin, unter dem Titel “Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn!”. Um 11 Uhr vormittags stand die Bühne bereits auf der Verkehrsinsel des Potsdamer Platzes, dahinter die Zelte für Organisation und Presse. Eingerahmt von den teuren Hotels und dem Turm der Deutschen Bahn, erledigten die Helfer die letzten Handgriffe. “Wir waren aber gestern Abend schon hier und hatten ein klein wenig Ärger mit einigen Polizisten”, erzählte mir padeluun, der im Vorfeld auch den Antrag für die Demo unterzeichnet hatte. “Die Beamten wussten wohl nicht, was hier passieren soll und monierten, dass wir eine Telefonzelle angezapft haben,” fügte der FoeBuD-Vorsitzende lächelnd hinzu. “Aber das war natürlich vorher schon abgestimmt und hatte seine Ordnung.” Als Veranstaltungsbeginn war 15 Uhr angesetzt und bereits eine Stunde früher füllte sich der Platz mit bannertragenden Netzaktivisten und Datenschützern. 10.000 Teilnehmer zählte die Polizei am Ende des Tages. Die Veranstalter sprachen von sogar 25.000 Menschen. Für den Rahmen der Demonstration konnten hochkarätige Redner gewonnen werden: Frank Bsirske, der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, sprach sich für mehr Datenschutz von Arbeitnehmern im Betrieb aus: “Mit dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik ist der Kontrollwahn ausgebrochen - in Staat, Wirtschaft und Arbeitswelt. Arbeitgeber behandeln ihre Mitarbeiter zunehmend wie Leibeigene.”
Für Thilo Weichert, den Datenschutzbeauftragten Schleswig-Holsteins, sind unsere Freiheiten durch Überwachung und Zensur in Gefahr: “Für die herrschende Politik gibt es eine analoge Welt mit Diktatoren, Terroristen, Kinderschändern, Wirtschaftskriminellen und Rechtsextremisten. Bedienen die sich digitaler Techniken, so die Logik, dann muss eben überwacht und zensiert werden. Dabei ist den Politikern zumeist nicht ansatzweise bewusst, dass sie mit völlig untauglichen Mitteln vorgehen.”
Daneben sprachen unter anderem Franziska Heine (Initiatorin der Online-Petition gegen Internetsperren), Rolf Gössner (Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte), Patrick Breyer (Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung). Die Reden sind hier nachzulesen: Link.
Einen kleinen Zusammenschnitt der Reden hat Markus Beckedahl auf seinem Blog netzpolitik.org veröffentlicht: Der darauf folgende Umzug durch die Stadt verlief zwar laut, aber dennoch friedlich. Unter den Beteiligten 167 Organisatonen und Parteien waren zum Beispiel Die Grünen, die FDP, die Jusos, die LINKE und die Piratenpartei zu finden, aber auch Gewerkschaften wie ver.di oder der DGB (vollständige Liste hier). Die breite Fächerung an vertretenen Organisationen hatte zum Ziel, so padeluun, dass nicht nur Leute kommen, die die behandelten Probleme verstehen. Die Veranstaltung diente auch dazu, Menschen, die sich bisher nicht damit auseinander gesetzt haben, darauf aufmerksam zu machen. Am Rande bemerkte Johnny Häusler bei Spreeblick einen kleinen, ironischen Umstand: “Sebastian Heiser von der TAZ hat 116 Kameras entlang der „Freiheit statt Angst“–Demo-Route gezählt.” Aber: “Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Kameras sind dort immer installiert, sie wurden also nicht für die Demo aufgebaut.” (Link) Einen kleinen Wermutstropfen hatte die Veranstaltung dennoch. Wie gesagt, mein persönlicher Eindruck ist der einer friedlichen Demonstration. In der Nachberichterstattung überwiegt derzeit aber leider die Aufregung um eine kleine Rangelei am Rande des Geschehens, das zufällig mit einer Kamera aufgezeichnet wurde und nun per Youtube im Internet kursiert. Zusammengefasst, sieht es auf diesem Video so aus, als wenn ein Zivilist von einigen Polizisten unverhältnismäßig grob angefasst wurde. Das Video kann man sich zum Beispiel hier oder hier ansehen, Florian Holzhauer hat auf dem law-blog die Stellungnahmen der Polizei dazu
Rouven Ridder
Neue Westfälische, Bielefeld, 14. September 2009
Original: http://blog.nw-news.de/blogspot/?p=642