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Im Netz der Datenfischer

Der Bürger ist so gläsern wie nie zuvor. Als Kunde wird jeder von der Wirtschaft durchleuchtet. 1300 Datenhändler geben in Deutschland Millionen persönlicher Daten heraus. Dem Missbrauch sind Tür, Tor und vor allem der heimische PC geöffnet.

Der Bürger ist so gläsern wie nie zuvor. Als Kunde wird jeder von der Wirtschaft durchleuchtet. 1300 Datenhändler geben in Deutschland Millionen persönlicher Daten heraus. Dem Missbrauch sind Tür, Tor und vor allem der heimische PC geöffnet.

Berlin (OZ) Sie würden gern mal wissen, wie Sie sozial eingeordnet sind? Gesellschaftlichen Rang, Bonität, Ansehen realistisch einschätzen? Dann schauen Sie doch mal bei Schober rein. Oder bei AZ Direct. Schober Information Group und AZ Direct sind zwei von 1300 Datenhändlern in Deutschland. Allein Schober verwaltet und verkauft personenbezogene Daten von 50 Millionen Bundesbürgern. Kunden erfahren von soziodemographischen Fakten über Wohnsituation, Adressen, Telefonnummern, Kaufneigung und persönlichen Interessen der gespeicherten Personen, was sie wissen wollen.

AZ Direct ist beim sozialen Raster, direkter: Dort wird vorsortiert, wer zur Upper Class gehört oder als Kleinbürger gilt, wer als konservativ oder in Randgruppen eingestuft wird. PKW-Typ, Kaufkraft, Konsumschwerpunkte, Größe des bewohnten Gebäudes, Wohndauer, Beschäftigungssituation – all das weiß die Bertelsmanntochter über ihre Spezis und gibt es – gegen Cash – gern, unkompliziert, per Internet weiter. George Orwells Visionen des Romans „1984“ sind nicht mehr realistisch, sondern veraltet. Weil damals null Vorstellung von Möglichkeiten heutiger Computer, Speicherplätzen und der Anarchie des World-Wide-Web existiert haben. Bürger von heute leben in permanenter Rasterfahndung, nicht als Terrorist, als Konsument.

Völlig legale Datensammlungen der freien Wirtschaft, Trojaner und Cookies auf den PCs, die Verhalten, Interessen und Neigungen der Kunden auskundschaften. Kameraüberwachung der Autobahnen und öffentlicher Plätze, Handyortung, elektronische Spuren beim Einkauf. Googlemail digitalisiert Inhalte von Mails. Bei www.rottenneigbor.com kann man sich über böse Nachbarn informieren oder gleich selbst denunzieren. Ungeprüft, ungefiltert! Der digitale Pranger.

Derzeit fotografiert Google Straßenzüge deutscher Städte und stellt sie ins Netz. Ein anderer Internetanbieter hat bundesweit Immobilien abgelichtet und mit Infos über Wert und Familienverhältnisse gekoppelt. Technisch ist es möglich, alle diese Daten zu verbinden und im Paket zu interpretieren.

Der Score – die Einschätzung des Kunden nach Bonität, ist längst üblich. Die Schufa – nach deren Urteil Kredite vergeben oder abgelehnt werden – verwaltet 430 Millionen Daten von 65 Millionen Bürgern. Nach welchen Kriterien sie Einschätzungen vornimmt? Betriebsgeheimnis! Fehlt nur noch der Zugang zu Datenbanken der Krankenkassen, damit die Privatwirtschaft rundum glücklich ist. Der Bürger ist nicht gläsern, den kann man mit der Taschenlampe röntgen.

Nur, es scheint niemanden zu interessieren. Bereitwillig und naiv geben Konsumenten persönliche Daten, Bankverbindung, Vorlieben, Interessen bekannt. Wenn sie im Internet surfen, kaufen, buchen. Wenn sie eine Unzahl von Clubkarten sammeln und an Gewinnspielen teilnehmen. All das dient der Überwachung und Ausspionierung der Kundschaft.

Wenn das Fitness-Studio informiert, dass man lange nicht dort gewesen sei und Babybrei schickt. Wenn der Babynahrungshersteller unaufgefordert ein Glückwunsch-Care-Paket zum Neugeborenen sendet. Wenn der Herrenausstatter Stammkunden per Post mitteilt, dass sie eine Treueprämie bekommen, deren Höhe sie in der Filiale erfahren. Wenn die Parfümkette Proben der Lieblingsdüfte schickt. Sie alle wollen den Kunden an seine Pflichten erinnern: Lass dich mal wieder blicken, konsumiere gefälligst und vor allem, bleib uns treu. Sie alle tun das auf Basis von gespeicherten Daten und vernetztem Wissen über die Kunden.

Schaut man in die Historie, ist es fast lustig, welchen Aufstand die 1981 anberaumte Volkszählung in Westdeutschland nach sich zog, die wegen Bürgerinitiativen und Prozessen bis 1987 verschoben werden musste. Heute kann die Konsum-Stasi schalten und walten, wie sie will.

Der Staat speichert gerade mal 20 Prozent der Daten, die über seine Bürger im Umlauf sind. Auch bei Polizei, Bundesnachrichtendienst und Verfassungschutz. Rein theoretisch – also per Gesetz – hat jeder das Recht, da Einblick zu erlangen. Ein sinnloses Unterfangen. Gespeichert sind Daten auch bei Meldeämtern. Name, Größe, Augenfarbe, Adresse, frühere Adressen, Konfession, Steuernummer, Familienstand, Anzahl und Namen der Kinder – all das weiß das Amt. An Dritte herausgeben werden nur Name und Anschrift, heißt es in Rostock. Das bezweifelt der Datenschutzbeauftragte in MV, Karsten Neumann, und fordert ein neues Gesetz. „Die größten Datensammlungen haben Meldeämter, deren Daten in großem Stil elektronisch an Unternehmen verkauft werden“, sagt Neumann. Dem widersprach Stephan Articus, Geschäftsführer des Deutschen Städtetages vehement. Doch der Vorwurf bleibt im Raum.

80 Prozent personenbezogener Daten aber besitzt die freie Wirtschaft. Ein unbezahlbarer Schatz. Und geht es nach deren Willen, sollte alles erlaubt sein, bis zum Blick ins Schlafzimmer, Infos über persönliche Verhältnisse oder familiäre Krisen.

Fälle von Missbrauch schreckten jetzt auf. Hacker hatten sich in die Datenbank der Telekom mit über 30 Millionen Kundeneinträgen und sensiblen Daten eingeloggt. Darüber hinaus sind CDs mit vertraulichen Daten aufgetaucht. Dubiose Firmen hatten auf Basis solcher Infos Privatkonten, vornehmlich von Rentnern, auch in MV, geplündert. Sogar Unternehmen wie Lidl, Gerling oder Siemens sind mit Datenmissbrauch verhaltensauffällig geworden. Sie spionierten Kunden und Mitarbeiter aus.

Ein selbst ernannter anonymer Datenschützer hat – natürlich im Internet – reagiert. Unter www.foebud.org werden Datenschutzverletzungen aufgedeckt. Der Anbieter gibt den Big Brother- Award für gelungene Überwachung heraus. Preisträger der vergangenen Jahre: Tchibo, Deutsche Bahn, Hotelketten und der Landtag von MV. Für das Gesetz zur Erlaubnis zum Abhören von Tonaufzeichnungen an öffentlichen Plätzen, Gebäuden und Verkehrsmitteln. Glückwunsch!

Reden ist Silber: Was Firmen über uns wissen

Laut Datenschutzrecht hat jeder Bürger das Recht zu erfahren, wer was über ihn speichert und was damit getrieben wird. Die Praxis sieht anders aus. Beim Versuch zu erkunden, welche Firmen etwas über mich gespeichert haben, laufe ich ins Leere. Ob Automobilclub, Möbelhäuser, Fitness-Studio, Happy Digits, Payback, wo ich Clubkarten besitze – auf schriftliche Anfrage gibt es keine Antwort. Auch ein Fußballverein, wo ich mal zum Spaß einen Schal per Internet bestellt habe, oder Erotikanbieter Beate Uhse, heute Dr. Müller, wo ich – Ehrenwort – nie eingekauft habe, aber mal wissen möchte, was die über mich wissen, schweigen sich aus.

Wird geantwortet, dann sparsam. Payback (Jahresumsatz 200 Millionen Euro) oder Schober Information Group (140 Millionen Euro) haben hochoffiziell Datenschutzbeauftragte. Auf Anfrage heißt es lapidar, dass nur Name, Adresse und Geburtsdatum gespeichert, aber nicht weitergegeben werden. Seltsam. Von der Weitergabe dieser Daten leben diese Firmen. Will ich wissen, ob ich als zuverlässig im Zahlungsverkehr gelte, genügt mein Schufa-Eintrag. Der Inkassoriese hat das freundliche Abo für einmalig 15 Euro eingerichtet. Dort eingeloggt, kann ich jederzeit erfahren, ob negative Fakten in Finanzdingen über mich im Umlauf sind. Ob das Unternehmen weitere Infos über mich hat, geht mich nichts an. Das ist intern.

Der Datenschutzbeauftragte des Inkassobüros Creditreform, der viel über mich weiß, es aber nicht für angemessen hält, mir seinen vollen Namen zu nennen, verrät mir über mich: Gespeichert sind Name, Adresse, Geburtsdatum, frühere Adressen und dass ich „soweit bekannt“ pünktlich zahle. Weitere Daten über mich seien betriebsintern. Gehen mich also wieder nichts an. Und genau so sehen das sehr viele Firmen.

Politik einig: Mehr Schutz für die Bürger

(OZ/pet) Peter Schaar war rundum zufrieden. „Das Ergebnis ist so, wie unsere Forderung war“, fasste der Bundesdatenschutzbeauftrage auch im Namen seiner Länderkollegen das Ergebnis des gestrigen „Datengipfels“ zusammen. Geladen hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Auch er wusste nur Gutes zu berichten. „Wir haben ein großes Maß an Übereinstimmung gefunden.“ Jörg Schönbohm (CDU), der als Vorsitzender der Innenministerkonferenz die Länder repräsentierte, lobte: „Es hat mehr gebracht, als ich erhofft habe.“ Der Handel mit Verbraucherdaten, der in den vergangenen Wochen durch haarsträubende Missbrauchsfälle aufgeflogen war, wird Konsequenzen haben. Und das rasch. Über Partei- und Zuständigkeitsgrenzen hinweg verständigte sich die Politik auf einen besseren Schutz der Bürger vor Geschäftemacherei mit geklauten Daten. Die gesetzlichen Neuerungen sollen noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden. Die wohl wichtigste Änderung: Persönliche Daten dürfen nur noch weitergegeben werden, wenn eine Einwilligung vorliegt. Nach geltender Rechtslage ist der Adresshandel erlaubt, sofern die Betroffenen das nicht ausdrücklich ablehnen. Einverständnis statt Widerspruch, heißt es künftig. Damit einher gehen soll eine Kennzeichnungspflicht. Wer etwa Daten zu Werbezwecken nutzt, soll angeben, woher er sie hat. Ob und wie das in der Praxis funktionieren kann, wird eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Schönbohm bis Mitte Oktober prüfen.

Marktbeherrschende Firmen dürfen Vertragsabschlüsse künftig nicht mehr an die Zustimmung zur Datenverwertung koppeln. Außerdem wird der Straf- und Bußgeldrahmen für Verstöße erhöht. Zu den verschärften Sanktionen zählt auch das Abschöpfen von Gewinnen, die durch illegale Datennutzung gemacht wurden.

Debattiert wird ebenfalls über eine bessere Ausstattung der Datenschutzbehörden. Schaar hält sie für dringend erforderlich. Auch ein Datenschutz-Gütezeichen wird vorbereitet. Damit sollen sich Unternehmen und Organisationen schmücken, die Datenschutz über die gesetzlichen Regeln hinaus praktizieren. Die Kriterien für diesen freiwilligen Extra-Datenschutz sollen unabhängige Experten aufstellen.

So schütze ich meine Daten