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Im Frühjahr 2011 tritt die Volkszählung kurz Zensus11 in Deutschland in seine Endphase. Im Gegensatz zu den Volkszählungen in der „alten“ BRD in den Jahren 1983, bei der die Zählung am Widerstand der Bürger scheiterte und dann aber mit massiven Protesten begleitet 1987 doch noch stattfand, trifft die Regierung heute auf keinen breiten Protest bei der Bevölkerung. Warum?

Unheimliche Vorfahren

Schon ein Blick in die Geschichte solcher Zählungen, begonnen 1917 mit der sogenannten Kriegszählung über die 1933 und 36 durchgeführten Zählungen der Nazis, lassen nichts Gutes ahnen. Im sogenannten 3. Reich wurden diese Daten daraufhin genutzt, um das Arbeitsbuch (1935), später das Gesundheitsstammbuch (1936) und eine allgemeine Meldepflicht (1936) noch quasi nebenbei einzuführen. Später gipfelte das dann in einer Volkskartei (1939) und einer Personenkennziffer (1944) für jeden Bürger. Bis 1957 war dann Ruhe, dann kam der sogenannte Mikrozensus von Siegfried Koller auf. Hierbei sollten dann statistisch gewonnene Daten aufbereitet werden.

Deutschland hat maßgeblich in der EU darauf hingewirkt, dass eine Zählung angeordnet wird. Und nun beruft sich Deutschland auf die EU-Erfüllungspflichten. So schafft man sich erst ein Henne-Ei-Problem. Dabei ist die Umsetzung eine Aneinanderreihung von Katastrophen. Eigentlich stehen der Regierung doch schon genügend Daten über seine Bürger zur Verfügung. Denn der neue Zensus11 greift vor allem auf bereits vorhandene Daten von Ämtern zurück. Trotzdem soll es in einer etwa zehn Prozent der Haushalte umfassende Stichprobe auch persönliche Befragungen geben. Es gibt noch nicht einmal genügend freiwillige Helfer.

Zwar gibt es im Paragraphen §11 Absatz 2 des Zensusgesetzes die Möglichkeit, dass die Bundesländer in ihren Ausfügungsgesetzen darüber verfügen dürfen, dass im Prinzip jeder Bürger zum Volkszähler zwangsverpflichtet werden kann und so gut wie alle Bundesländer machen in ihren Ländergesetzen von einer derartigen “Verpflichtung zum Ehrenamt” Gebrauch, doch hieß es bislang immer:

“Keine Sorge. Soweit wird es nicht kommen. Wir sind sicher, dass es mehr Bewerber zum Volkszähler als Stellen geben wird.”

Anders sieht das der Spiegel Online in einer Meldung vom 07.01.2011. Demnach sollen in Sachsen noch immer Volkszähler gesucht werden. Und diesen Umstand scheint sich auch die NPD zunutze machen zu wollen: Sie ruft ihre Mitglieder dazu auf, sich als Volkszähler zu bewerben:

Unternehmen wehren sich gegen den Zensus

“Die Wohnungsbaugenossenschaft „Bremer Höhe“ eG Wohnungsbaugenossenschaft hält das Zensusgesetz 2011 für verfassungswidrig und sieht sogar die Interessen ihrer Mitglieder gefährdet. Sie weigert sich, die Daten ihrer Mitglieder herauszugeben. Die WBG „Bremer Höhe“ eG ist dem amtlichen Bescheid mit einer Klage zuvorkommen, um so die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, die der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und der FoeBuD eingereicht haben, abwarten zu können.” So die Aussage in einer Pressemitteilung der Gesellschaft.

Pleiten Pech und Pannen

Auch durch das Outsourcing von Programmierungsarbeiten an der Volkszählungs-IT-Infrastruktur entstehen undurchsichtige Strukturen und reichliche Probleme. Nachdem schon im Juli des letzten Jahres bekannt wurde (1), dass ein großer Teil der für die Volkszählung notwendigen IT-Arbeiten beim Statistischen Bundesamt an das profitorientierte Wirtschaftsunternehmen Adesso ausgelagert werde, gibt es Meldungen über weitere Outsourcing-Maßnahmen. Beispielsweise durch das Outsourcing von Versand und Auswertung von Fragebögen. In Sachsen und Sachsen-Anhalt wurden seit dem vergangenen Jahr Wohnungs- und Gebäudebesitzer, Vermieter und Wohnungsbaugenossenschaften im Rahmen so genannter “Vorbefragungen” mit Fragebögen konfrontiert, die sie ausgefüllt zurücksenden sollen. Jedoch nicht an die jeweils zuständigen Landesstatistikämter, sondern an eine “systemform MediaCard GmbH” im bayrischen Bamberg. (2)

Wer steckt hinter dieser Firma und sind derartige Praktiken zulässig? Denn: *Beschlagnahmeverbot und Aussageverweigerungsrecht* stehen den statistischen Ämtern zu, wirtschaftlichen und Aktiengesellschaften aber nicht unbedingt!

In einem Blogbeitrag (3) ist Werner Hülsmann, einer der Mitbegründer des AK-Vorrat, dieser Frage ein wenig nachgegangen und stellt fest, dass ein Outsourcing für Sachsen-Anhalt nicht grundsätzlich unzulässig ist. Trotzdem wirkt es nicht besonders vertrauenserweckend, dass diese Maßnahmen zuvor nicht öffentlich bekannt gemacht worden sind. Es gab einige Rückmeldungen von Betroffenen beim AK-Zensus oder dem FoeBuD, die verunsichert nachfragen, ob das alles mit rechten Dingen zugehe und ob man dieser Firma in Bamberg überhaupt trauen könne – eine Firma, deren Hintergründe nicht eindeutig nachrecherchierbar sind, wie Werner Hülsmann ausführlich darlegt. Es sollte eigentlich Konsens sein, dass Daten und Informationen, die im Rahmen von statistischen Erhebungen dem Statistikgeheimnis unterliegen, grundsätzlich nicht in privater oder privatwirtschaftliche Hände geraten dürfen.

Eine weitere Panne findet sich in einem Online-Artikel von Anfang Oktober (4) dort steht, dass ausgerechnet die Deutsche Post AG, ein Großunternehmen, das eher durch seinen nicht besonders sensiblen Umgang mit Daten (5) bekannt geworden ist, in Sachsen für den zentralen Versand aller Formulare an die Befragten beauftragt worden ist. Wird die Post dadurch zum staatlich subventionierten Adresshändler?

Weitere Kritikpunkte

Es mangelt an Informationen und Aufklärung. Viele Menschen im Land wissen gar nicht welche Phase des Zensus gerade läuft. Eine Anonymität der Befragten ist nicht gewahrt, wieder soll es Ordnungsnummern für Personen geben. Die Daten werden voll und umfassend zentral gespeichert. Die IT-Risiken die dadurch zusätzlich entstehen, lasse ich hier mal außen vor. Auch der Aufbau einer Religionsdatenbank, die Befragten müssen Auskunft über religiöse Zugehörigkeit machen, wird massiv kritisiert. Sehr sauer kann einem aufstoßen, dass es auch wieder eine Ahnenforschung gibt. Man muss seine Deutschheit belegen. Wer vor 1957 schon Deutscher war braucht keine weiteren Angaben zur Herkunft machen. Und von den Anfang 2003 taxierten 315 Millionen Euro an Kosten, sind es mittlerweile mindestens 754 Millionen Euro, die für den Zensus11 aufgerufen werden.

Ausblick

Seit Mai 2010 haben sich interessierte Menschen im Rahmen des AK Vorrat, FIfF und dem FoeBuD gegen den Zensus11 gestemmt. Nach einem Aufruf mit Schwerpunkt im Internet zur Unterstützung gaben mehr als 13.000 Menschen uns Ihre Stimme um eine Verfassungsbeschwerde einzureichen. Leider wurde diese im Okt. 2010 aus formalen Gründen abgelehnt. Widerstand kann somit also nur nach individueller Entscheidung getätigt werden. Der AK-Zensus wird die Menschen aber über einige wenige Medien wie beispielsweise hier oder auf seiner dafür eingerichteten Webseite, weiter informieren können und weitere Klärungen zu den rechtlichen Grundlagen vorantreiben. In den einzelnen lokalen Arbeitsgruppen werden auch individuelle Ideen gesammelt, wie beispielsweise das Einrichten von alternativen Sammelstellen für die ausgefüllten Bögen oder eine Bußgeld Versicherung. Denn auf das Nichtbeantworten steht eine Buße von bis zu 5.000 Euro.

Bis dato gibt es zwei neue Aktionen, einmal: “Der Zensus-Phrasendrescher-Antwortgenerator – Um Mithilfe wird gebeten.” Hierbei geht es darum alle abgefragten Daten in nicht maschinenlesbarer Form abzugeben. Lesen Sie hier mehr über dieses Projekt.

Die zweite Aktion namens: Den Spieß umdrehen: “Frag die Befrager!” - ruft dazu auf Fragen zur Durchführung und Sicherheit zu stellen. bei einer ähnlichen Aktion haben 19 Schreiben an die BA genügt um die Verwaltung straucheln zu lassen. Falls Sie diese Aktion interessiert lesen Sie bitte hier weiter.

Wir werden auch weiterhin das Rekrutieren der Volkszähler sowie die Datenverarbeitung und Auswertung kritisch begleiten. Und schließlich bleibt uns ja noch der Tag des zivilen Ungehorsam. Wann sagt uns denn schon mal die Regierung, dass heute explizit der Rasen betreten werden soll. Weitere Informationen und Aktuelle Hinweise auf der oben schon erwähnten Kampagnenseite: www.zensus11.de

Michael Kappes

readers-edition.de, Berlin, 09. Februar 2011
Original: http://www.readers-edition.de/2011/02/09/sie-kommen-um-uns-zu-zaehlen/

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