Microsoft hat eine Software zur Erkennung von Problemen der Nutzer zum Patent angemeldet. Das System soll auch Körperfunktionen wie Puls und Blutdruck prüfen und so Stress und Erregungsgrad bestimmen können.
Bereits 2006 hat Microsoft in den USA einen Patentantrag für eine Software eingereicht, die Probleme der Nutzer im Umgang mit Computern am Arbeitsplatz erkennen soll. Das System ist für Arbeitsgruppen konzipiert und soll neben Auswertungen der Mensch-Maschine-Interaktion wie Klickgeschwindigkeit, Klickstream oder Mausbewegungen auch Augenbewegungen und andere Körperfunktionen erfassen. Microsofts Vision zur "Überwachung von Gruppen-Aktivitäten", so der Originaltitel, ist nicht auf PC beschränkt, sondern umfasst auch z.B. PDA- und Handynutzer.
Ziel sei eine Steigerung der "Gesamtnutzerproduktivität und Effizienz" durch Protokollierung zahlreicher Aktivitäten der User. Ein Analysesystem soll anhand der erhobenen Daten Verhaltensänderungen erkennen und so z.B. Situationen erkennen, in denen Mausklicks nur nach dem Prinzip trial&error erfolgen. Ziel einer solchen Überwachung könne ein maßgeschneidertes Hilfe-Werkzeug sein oder die Vermittlung anderer Nutzer, die ein ähnliches Problem bereits erfolgreich gelöst hätten.
Überwachung des Nutzungsverhaltens von Software ist generell ein alter Hut: Antiquierte "Arbeitswächter" aus der Zeit der Großrechner mahnten nach einer Zeit der Inaktivität, heute analysieren Suchmaschinen und Social Sites das Klickverhalten, sei es für maßgeschneiderte Werbung oder für die Verbeserung der eigenen Angebote. Dass aber Körperfunktionen überwacht werden sollen, ist eine bisher ungeahnte Grenzüberschreitung. Ist das Protokollieren aller Aktivitäten am Computer schon fragwürdig und für viele Arbeitnehmer ein klarer Eingriff in ihre Arbeitsautonomie, so ist zumindest für westeuropäische Verhältnisse die Vorstellung einer permanenten Pulskontrolle am PC undenkbar. Einer solch umfassenden Überwachung könnte sicherlich nachlassende Produktivität ebenso wenig entgehen wie drohende Krankheiten.
Tröstlich, dass das Patent wenig Aussicht auf Erfolg hat: Überwachungen der Körperfunktion sind im Leistungssport oder in der Raumfahrt seit langer Zeit üblich, Usability-Tracker, Kameras zur Verfolgung der Augenbewegung und Keylogger setzt z.B. die Werbebrache seit mindestens mehreren Jahren ein. Was ist also neu an Microsofts Idee? Der Gedanke, jemandem Hilfe anzubieten, ohne dass er darum gebeten hat? Auch hierzu gibt es mindestens ein Duzend einschlägiger Pfadfinderwitze. Die London School of Economics hat bereits 2003 in einer Studie festgestellt: Überwachung durch Vorgesetzte hemmt Arbeitnehmer in ihrer Kreativität. In Massenbetrieben wie Callcentern ist sie dennoch auf dem Vormarsch.
Motivation von Microsoft dürfte also vermutlich eine neue Geldquelle sein, Motivation für die Unternehmen eher eine Kontrolle als eine individuelle Hilfe. Und Motivation für die Arbeitnehmer? Nach meiner Meinung: Fehlanzeige!
reticon.de, Bonn, 17. Januar 2008
Original: http://www.reticon.de/news/windows-demnaechst-mit-ekg-und-schwangerschaftstest_2042.html