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Internetnutzer trommeln gegen Web-Zensur

Kaum ein Thema sorgt auf deutschen Blogs derzeit für so viel Aufregung wie die von Familienministerin Ursula von der Leyen geplanten Sperrungen von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten. Kritiker fürchten eine Zensur durch die vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellte Sperrliste. Vor allem über Blogs und Twitter mobilisierten sie innerhalb von nur drei Tagen über 28.000 Unterschriften. Sollte die Marke von 50.000 Unterzeichnern geknackt werden, darf die Petitions-Erstellerin vor dem Bundestag sprechen.

Für viele Blogger ist die Familienministerin zum Feindbild geworden: Seit sie am 24. April medienwirksam eine Vereinbarung mit insgesamt fünf Internet-Providern unterzeichnete, die sich darin freiwillig bereit erklärten, eine vom Bundeskriminalamt erstellte Liste von Internetseiten zu sperren, wird die Ministerin im Netz als "Zensursula" geschmäht. Kritiker wie der Chaos Computer Club (CCC) und der Netz-Bürgerrechts-Verein FoeBuD sehen in der Maßnahme den Einstieg in eine staatliche Internet-Zensur.

Die Befürchtung ihrer Kritiker: Sollte das Tabu einer Internet-Zensur einmal durchbrochen sein, könnte die Maßnahme schon bald auch auf andere Inhalte ausgeweitet werden. Ganz unberechtigt sind diese Befürchtungen offenbar nicht: Schon forderte Caren Marks, die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, eine Ausweitung der Maßnahme auf Jugendpornographie. Bis vor kurzem war diese in Deutschland nicht einmal strafbar.

"Unsere grundsätzliche Kritik bezieht sich auf die mit der Sperrung einhergehende grundlegende Einschränkung von Freiheitsrechten, da die Zensurliste unter ausgesprochen fragwürdigen Umständen zustande kommen soll", sagte CCC-Sprecherin Constanze Kurz im Gespräch mit unserer Redaktion. "Dass tatsächlich ausschließlich Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten auf dieser geheimen Liste stehen werden, halten wir für ausgeschlossen", so Kurz.

Auf die Straße gehen die meist jugendlichen Anhänger eines von staatlicher Regulierung freien Netzes heute kaum noch: Zu einer Demonstrationen, zu der der CCC in Berlin aufgerufen hatte, erschienen gerade mal rund 250 Demonstranten. Doch die gar nicht so apolitische Jugend hat die bequeme Form des Protests für sich entdeckt: Die Online-Petition.

Über Blogs und Twitter gelang des den Zensurgegnern innerhalb von nur drei Tagen über 28.000 Unterzeichner einer Petition an den Bundestag zu mobilisieren. In der Petition fordert sie, dass der Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes, nach der die Provider zur Umsetzung der Sperrliste gezwungen würden, ablehnt. Sollten bis zum 16. Juni 50.000 Unterzeichner zusammenkommen, darf die Petitionsstellerin vor dem Bundestag sprechen und ihre Bedenken vortragen.

Auch in anderen Ländern sorgen Versuche von Regierungen, das Internet zu zensieren, für Wirbel. Die Website "Wikileaks.org" hatte eine Liste von Seiten veröffentlicht, die angeblich nach Plänen der australischen Behörde ACMA gesperrt werden sollten. Darauf befanden sich neben Seiten mit kinderpornographischen Material auch Websites mit politischen Inhalten. Selbst die Bundesregierung schließt offenbar nicht aus, dass auch legale Inhalte auf die Sperrliste geraten könnten. In einem Bericht der"Berliner Zeitung" heißt es, in einem Arbeitsentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums werde festgehalten, dass die Diensteanbieter keine Schuld treffe, falls auch Seiten gesperrt würden, die keine Kinderpornografie enthalten. Die Haftung für solche Fälle übernehme das BKA.

Experten zweifeln außerdem an der Wirksamkeit der Maßnahme im Kampf gegen Kinderpornorgrafie. Nach einer Studie der Computerzeitschrift "c't" hat sich die kriminelle Szene längst aus dem öffentlich sichtbaren Netz verabschiedet – und tauscht das Material lieber in nicht frei zugänglichen Bereichen des Internets. Das Bundesfamilienministerium bestreitet das.

Seit der Bundestag Online-Petitionen erlaubt, ist es schon schon mehrfach gelungen, mehr als 50.000 Unterzeichner zu mobilisieren. Zuletzt gelang es der Unterstützerin eines bedingungslosen Grundeinkommens auf diese Art, vor dem Bundestag zu sprechen – auch zu der ARD-Politiksendung "Maischberger" wurde sie danach eingeladen.

STEPHAN DOERNER

Rheinische Post, 06. Mai 2009
Original: http://www.rp-online.de/public/article/politik/deutschland/704938/Internetnutzer-trommeln-gegen-Web-Zensur.html

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