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Weiter Proteste gegen Speicherung von Telefondaten

Wenn es nach dem EU-Parlament geht, ist alles längst beschlossene Sache: Künftig sollen alle Telefonverbindungs- und Internetdaten archiviert werden. Gesetzesgegner wollen sich noch nicht damit abfinden. Sie hoffen auf die EU-Justizminister.

In einer gemeinsamen Erklärung sprechen sich Datenschützer, Verbraucherschützer und Journalisten gegen die von der Bundesregierung befürwortete Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten aus. Die geplante vorsorgliche Speicherung von Verbindungsdaten bewirke keinen verbesserten Schutz vor Kriminalität, koste Millionen von Euro und gefährde die Privatsphäre Unschuldiger, heißt es in der gemeinsamen Erklärung von zehn Verbänden.

Unterzeichnet wurde die Erklärung vom Chaos Computer Club, von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD), vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), vom Grüne Jugend Bundesverband, vom Netzwerk Neue Medien (NNM), der Initiative no abuse in internet e.V. (naiin), von STOP1984, vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) sowie dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv).

Eine EU-Richtlinie sieht vor, dass künftig jede Benutzung von Telefon, Handy und Internet protokolliert werde, damit Strafverfolgungsbehörden auf diese Informationen zugreifen können. Nachdem das Europäische Parlament nach langer Diskussion den vom Minsterrat vorgelegten Kompromissvorschlag im Dezember billigte, steht nun die endgültige Entscheidung der EU-Justizminister noch aus.

Der vzbv sieht in den Plänen zur Vorratsdatenspeicherung eine Bedrohung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. "Eine demokratische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass nicht der Staat die Bürger, sondern die Bürger den Staat kontrollieren", sagte vzbv-Vorstand Edda Müller. Eine verdachtsunabhängige Datenspeicherung bedeute den Einstieg in eine flächendeckende Überwachung der Nutzer digitaler Kommunikation.

Die Verbände fordern die Mitglieder des Bundestages deshalb auf, an ihrer 2005 erklärten Ablehnung der Datenspeicherung festzuhalten. Falls die EU-Richtlinie nicht zu verhindern sei, müssten wenigstens die verbleibenden Spielräume zugunsten der Bürger und der Wirtschaft voll ausgeschöpft werden. So sollte die Datenspeicherung und der Datenabruf auf ein Minimum beschränkt werden.

Forderungen: Verzögern, Freiräume ausschöpfen

Wie das nach ihrer Vorstellung genau aussehen könnte, machen die Unterzeichner der gemeinsamen Erklärung mit einem Katalog von Forderungen klar:

"1. Die maximale Umsetzungsfrist bis Mitte 2007 - für Internetdaten bis Anfang 2009 - ist auszuschöpfen. 2. Bürger dürfen nicht verpflichtet werden, sich vor der Nutzung von Telefon, Handy oder Internet zu identifizieren. Bestehende Identifizierungspflichten sind aufzuheben. 3. Eine Vorratsspeicherung wird nur für die in der Richtlinie genannten Datentypen und nur für die Dauer von sechs Monaten eingeführt; danach sind die Daten unverzüglich zu löschen. Zu speichern sind nur Daten, die bei dem jeweiligen Anbieter zur Bereitstellung von Kommunikationsdiensten ohnehin erzeugt oder verarbeitet werden. 4. Der Staat hat die zur Datenspeicherung und -vorhaltung verpflichteten Anbieter für die daraus resultierenden Zusatzkosten (Investitionskosten, Vorhaltekosten, Personalkosten) voll zu entschädigen. 5. Der staatliche Zugriff auf Informationen über die Kommunikation und die Kommunizierenden ("Verkehrsdaten", "Bestandsdaten") hat den gleichen Voraussetzungen zu unterliegen wie der Zugriff auf die Inhalte der Kommunikation. 6. Der Zugriff auf Kommunikationsdaten ist nur zur Verhinderung oder Verfolgung schwerer Straftaten zuzulassen, wenn im Einzelfall der konkrete Verdacht einer solchen Tat besteht. Der Zugriff zwecks Strafverfolgung sollte beschränkt sein auf Fälle organisierter Kriminalität, in denen eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist. 7. Eine Nutzung von Kommunikationsdaten zu anderen Zwecken, beispielsweise durch Nachrichtendienste, durch sonstige Behörden oder durch private Dritte, ist auszuschließen. Den speichernden Diensteanbietern selbst ist die Nutzung der Daten nur insoweit zu gestatten, wie es zur Entgeltermittlung und Entgeltabrechnung erforderlich ist. 8. Der Zugriff auf und die Verwertung von Informationen über die Kommunikation von Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern, anderen Berufsgeheimnisträgern sowie Journalisten sind nur in besonderen Ausnahmefällen zuzulassen. 9. Zur Datenspeicherung und -vorhaltung sind nur Anbieter öffentlich zugänglicher Kommunikationsdienste und Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze zu verpflichten. Kleine Anbieter, insbesondere im Internetbereich, sind auszunehmen. 10. Die positiven und negativen Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf die Gesellschaft sind von einer unabhängigen Stelle zu untersuchen. Die Ergebnisse sind zu veröffentlichen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat dem Deutschen Bundestag alle zwei Jahre Bericht über die Erfahrungen mit der praktischen Anwendung der Vorratsdatenspeicherung zu erstatten. Die Berichte sind zu veröffentlichen."

Der Entwurf eines neuen Telekommunikationsgesetzes des Bundeswirtschaftsministeriums sieht bereits vor, dass Speicherungsdauer und der Art der erfassten Daten nicht über die Mindestanforderungen der EU-Regelung hinaus gehen sollen. Außerdem sollen die Unternehmen eine "angemessene Entschädigung" für die Erfassung der Daten erhalten: Die Verbände der IT- und Telekommunikationsindustrie hatten sich vor allem mit der Begründung gegen die EU-Richtlinie gestellt, dass ihnen die erheblichen wirtschaftlichen Lasten für die Schaffung der Überwachungs-Infrastruktur aufgebürdet werden sollten.

Der Spiegel, Hamburg, 07. Februar 2006
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,399504,00.html

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