So richtig glücklich ist niemand mit dem am Mittwoch vom Kabinett beschlossenen Entwurf der Urheberrechts-Novelle. Und so richtig verstanden hat sie auch kaum jemand. SPIEGEL ONLINE versucht eine Erklärung.
Nachdem Justizministerin Brigitte Zypries gestern die Neuregelung des Urheberrechts vorgestellt hatte, schrieben die Nachrichtenagenturen fast gleichlautend: "Privatkopien bleiben erlaubt." Kein Grund zur Aufregung also? Das "Fairsharing-Netzwerk" sieht das anders.
Unter der Überschrift "Schulhöfe als Hort der Kriminalität?" formulierte Fairsharing-Aktivist Malte Spitz: "Durch den Wegfall der Bagatellklausel werden Millionen Menschen in Deutschland kriminalisiert, besonders junge Menschen sind davon stark betroffen."
Die vom Anti-Globalisierungsnetzwerk Attac, vom IT-Interessenverband FoeBuD e.V. und der Grünen Jugend getragene Gruppe steht mit ihrer Kritik nicht alleine. Von der Bitkom und dem "Aktionsbündnis Kopiervergütung" über den Chaos Computer Club bis zum Netzwerk Neue Medien und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen - niemand ist mit der Gesetzesnovelle so richtig glücklich.
Je nach Perspektive gibt es vor allem zwei Aufreger: Einerseits den Wegfall der bis vor kurzem angedachten Bagatellfallregelung, andererseits die Regelung der pauschalen Vergütung der Urheber durch prozentuale Preisaufschläge beim Verkauf kopierfähiger Hardware.
Letzterer Punkt gehört zu den wenigen wirklichen Neuregelungen: Der Gesetzgeber schreibt darin fest, dass die Hersteller kopierfähiger Gerätschaften einen Teil des Verkaufspreises an die Urheber und Rechteinhaber zahlen müssen. Der am Mittwoch bewilligte Entwurf schreibt ganz genau vor, wie hoch dieser Anteil sein darf: "Die Summe der Vergütungsansprüche aller Berechtigten für einen Gerätetyp darf fünf von Hundert des Verkaufspreises nicht übersteigen."
Von dieser "Deckelung" der Abgabe aber zeigt sich das "Aktionsbündnis Kopiervergütung", in dem sich unter anderem Dokumentarfilmer, Designer, Buchhändler, Bildende Künstler, Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, der Deutsche Hochschulverband, Journalisten, Schrifsteller, die Gewerkschaft ver.di und ein Übersetzerverband zusammen gefunden haben, "tief enttäuscht".
Ihnen allen geht die Abgabepflicht nicht weit genug: Sie wollen keine Höchstgrenze für eine Abgabe, sondern eine definitiv festgesetzte Pauschale - und das für alle Geräte, mit denen sich irgendwie Kopien erstellen lassen. Nachdem die Bundesregierung mit der Gesetzesvorlage "die Rechte der Urheber ignoriert" habe, sei nun das Parlament in der Pflicht: Das Aktionsbündnis appelliert an den Bundestag, der Vorlage die Zustimmung zu verweigern.
Das sieht der IT-Verband Bitkom anders: "Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass der Entwurf nicht in den Ausschüssen zerredet wird oder gar stecken bleibt", meint Bitkom-Chef Jörg Menno Harms. Zwar sei das Gesetz in vielerlei Hinsicht ein Kompromiss. Die prozentuale Deckelung der Pauschalabgabe aber mache ihn aus Sicht der Hersteller erträglich. Sprich: Das Gesetz gibt der Industrie nicht alles, wonach sie verlangte, nimmt ihr aber auch nicht zu viel.
Zumindest das sieht auch Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, ganz ähnlich: "Der Vorschlag ist geprägt von den Interessen der Verwerter-Lobby und der Geräte-Industrie." Für sie ist das jedoch nichts Positives: "Urheber und Verbraucher werden unangemessen benachteiligt."
Die Gesetzesvorlage habe, so Bettin, das "Urheberrecht endgültig verkocht". Zu guter Letzt sei die Ministerin auch noch bei der Bagatellklausel eingeknickt."
Markus Beckedahl, Vorstand des Netzwerks neue Medien pflichtet ihr bei: "Für das private Kopieren von Musik drohen nun drei Jahre Haft - auch auf dem Schulhof. Zwar können die Verfahren aufgrund von Geringfügigkeit eingestellt werden - doch sind hier die Verbraucher von der Laune und regionalen Befindlichkeiten der Staatsanwaltschaften abhängig. So kann es passieren, dass die nicht-gewerbliche Weitergabe von Mix-CDs an Freunde in Bayern Anlass für eine strafrechtliche Verfolgung sein kann, während es im Norden nicht verfolgt wird."
Edda Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentralen kritisiert: Es sei nun zu befürchen, dass - durch den von Zypries ebenfalls in Aussicht gestellten Auskunftsanspruch der Copyright-Halter gegenüber Internet-Providern - auf Eltern jugendlicher Internetnutzer eine Flutwelle von Abmahnungen mit erheblichen Anwaltskosten zukomme. Nun müsse man fürchten, auch wegen kleinerer Verstöße strafrechtlich belangt zu werden, obwohl für den Verbraucher in den meisten Fällen nicht erkennbar sei, welche Downloads legal und welche illegal sind.
Das aber weist Justizministerin Brigitte Zypries im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE weit von sich: "Wenn Sie morgen im Internet eine Kopie von 'Basic Instinct 2' herunterladen, wissen Sie doch, dass die da definitiv nicht hingehört." Ansonsten seien die Befürchtungen vor massenhaften Abmahnungen oder Anzeigen völlig überzogen. Schon die bisherige Praxis zeige, dass die Staatsanwaltschaften die Verfahren, die Bagatellcharakter hätten, in aller Regel einstellten. Gewerbsmäßige Raubkopie müsse dagegen mit Härte unterbunden werden.
Doch die Kritik endet nicht beim Thema Bagatellklausel. Auch mit der angeblichen Aufrechterhaltung des Rechtes auf Privatkopie sei es so weit nicht her, argumentiert Markus Beckedahl vom Netzwerk neue Medien. Es sei doch paradox, "dass das Anfertigen privater Kopien zulässig, aber die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen unter Strafandrohung verboten ist."
Tatsächlich schreibt der noch vom Bundestag zu genehmigende Gesetzesentwurf fest, dass es ein prinzipielles Recht auf Kopien zum privaten Gebrauch gibt. Allerdings heißt es in dem Entwurf auch: "Auf eine Durchsetzung der Privatkopie gegen technische Schutzmaßnahmen des Verwerters wird verzichtet."
Im Klartext: Dem Bürger wird zwar ein Recht eingeräumt, zugleich aber der Industrie erlaubt, die Wahrnehmung dieses Rechtes zu verhindern.
Frank Patalong
Spiegel Online, Hamburg, 23. März 2006
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,407467,00.html