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Sofameilen fürs Werbunggucken

Eine Spezial-Fernbedienung soll aus dem passiven Fernsehen ein interaktives Medium machen. Couchpotatos lockt die ProSiebenSat.1-Gruppe mit Sofameilen, Gratisspielen und Einkauf per Knopfdruck. Ganz nebenbei werden die Zuschauer durchleuchtet.

Eine neue Fernbedienung soll das vielbeschworene interaktive Fernsehen nun Wirklichkeit werden lassen: "Betty" ist Universalfernbedienung zum Zappen, Abstimminstrument und Kaufknopf in einem. Seit dem 22.1. ist "Betty" im Handel (Preis: 40 Euro), gestern wurde das Gerät auf einer Pressekonferenz von der ProSiebenSat.1-Gruppe vorgestellt. Das Rumhängen vor der Glotze soll sich dank Betty künftig lohnen - ein alter Couchpotato-Traum wird wahr: Wer regelmäßig auf die Interaktionsknöpfe der Zapphilfe drückt, bekommt sogenannte Sofameilen gutgeschrieben, die er später in Prämien umtauschen kann. Ähnlich wie Flugmeilen, die Vielflieger für ausgiebige Mobilität einheimsen. Die Sofameilen haben natürlich trotzdem ihren Preis - so erfahren die Betreiber einiges über das Fernsehverhalten der Betty-Besitzer, indem sie die Teilnahme an Votings über Monate protokollieren.

Fragen via Fernsehsignal

Möglich wird dies, weil zwischen Telefonanschluss und Telefon ein Betty-Adapter geschaltet wird, der per Funk mit der Fernbedienung in Verbindung steht. In der Nacht ruft das Gerät eigenständig und gebührenfrei die Betty-Zentrale an, um die angefallenen Daten zu übermitteln - oder, wenn es sich um eine aktuelle Abstimmung handeln sollte, sofort nach Knopfdruck.

Vier Knöpfe sind fürs interaktive Fernsehen entscheidend: Mit A, B, C und D kann der Zuschauer abstimmen oder auswählen. Über ein integriertes Display in der Fernbedienung werden Multiple-Choice-Fragen eingeblendet - etwa sendungsbegleitende Wissenstests, Votings über die wichtigsten und unwichtigsten Fragen der Welt.

Die Fragen senden die TV-Stationen mit dem Fernsehsignal mit - ähnlich wie den Videotext. Ein spezieller Scart-Adapter, der zusammen mit Betty geliefert wird, überträgt die Fragen per Funk zur Umschalte.

Der Zuschauer kann Produktproben oder weiteres Informationsmaterial zum aktuell im Fernsehen laufenden Werbespot mittels Knopfdruck bestellen, Sportwetten abschließen, Konzerttickets kaufen. Immer, wenn solche Aktionen angeboten werden, meldet sich Betty mit einer Melodie, ein Text auf dem Display weist darauf hin. Sieben bis acht dieser Interaktionen sollen pro Stunde und teilnehmendem Sender angeboten werden - das sind ProSieben, Sat.1 und Kabel 1.

Willkommen Rückkanal ...

Maximal 30 Prozent dieser interaktiven Angebote sollen kostenpflichtig sein, heißt es auf der Betty-Homepage. Die Nutzer würden darauf im Vorfeld dieser Bezahlservices jedoch hingewiesen werden. Bezahlt wird - je nach Vorlieben des Kunden - entweder über die Telefonrechnung, per Lastschrift oder über eine Kreditkarte.

Verantwortlich für Betty innerhalb der ProSiebenSat.1-Gruppe ist - wer hätte das gedacht? - ein altbekannter Experte für Call-in-Shows: Neun Live nämlich, seit diesem Jahr für die gesamte ProSiebenSat.1-Gruppe sogenannter zentraler Interaktions-Dienstleister. Das klingt überaus positiv, wenn man an diesen lärmigen Trash-Anrufkrams denkt, den dieser Sender fabriziert. Willkommen Rückkanal, tschüss, liebes Ausruh-TV?

Der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBud) sieht das weniger rosig. Einmal im Jahr verleiht er die "Big Brother Awards" an Firmen, Politiker und Institutionen, die mit Daten besonders rabiat umgehen. FoeBud-Gründerin Rena Tangens bezeichnet Betty gegenüber SPIEGEL ONLINE als "Supergau nicht nur für die Privatsphäre, sondern auch für eine demokratische Gesellschaft". "Damit liefern Menschen, die da mitmachen, ihren Gehirninhalt - und große Teile ihres Geldbeutels - einer kommerziellen Senderkette aus", sagt sie. Und die Daten, die zum Beispiel bei den Votings anfallen, sowie das allgemeine Nutzungsverhalten - wann hat wer was gesehen? - lassen sich wunderbar verwerten: "Wer ist anfällig für welche Werbung und lässt sich zum Spontankauf verleiten? Wer reagiert auf emotionale Bilder und populistische Sprüche" - diesen Überblick, so Tangens, könne die ProSiebenSat.1-Gruppe daraus gewinnen.

... tschüss, Ausruh-TV?

Ilona Füchtenschnieder, Vorsitzende des Fachverbandes Glücksspielsucht verschlägt es regelrecht die Sprache: "So kann man mit der Fernbedienung sein Konto plündern", sagte sie gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Wir haben damit gerechnet, dass etwas wie Betty kommen würde, aber sind darüber erschrocken, dass es jetzt so schnell Realität geworden ist."

Als "höchst problematisch" sieht auch Ronny Jahn, Jurist für Neue Medien und Wettbewerbsrecht der Verbraucherzentrale Berlin, die neue Zapphilfe: "Es war bereits einfach, die Wahlwiederholungstaste am Telefon zu drücken, um öfters bei Call-in-Shows mitzumachen", sagte er gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Mit dieser Fernbedienung ist es jetzt noch einfacher." Die Regelmäßigkeit werde damit forciert, die Zuschauer würden folglich öfter teilnehmen als es über das Telefon der Fall gewesen ist und womöglich die Kosten aus den Augen verlieren.

Der Anbieter Betty TV verwies darauf, dass Kunden den aktuellen Kontostand jederzeit telefonisch oder online abfragen können. Zudem könne die pro Tag mit der Fernbedienung ausgebbare Summe auf zehn Euro begrenzt werden.

Betty spült den werbefinanzierten Sendern womöglich nicht nur den einen oder anderen Zusatzeuro in die Kasse - sie soll auf raffinierte Weise auch die Wahrnehmung der Reklame erhöhen: Auch in den Werbeblöcken gibt es Quizfragen, die der Konsument beim Wegzappen verpassen würde - so würden ihm Sofameilen durch die Lappen gehen. Von einer Umschaltsperre will Martina Euchenhofer, Pressesprecherin der Betty TV AG, jedoch nicht sprechen. "Das klingt so negativ, die Nutzer machen da gerne mit", sagt sie. Positiver ausgedrückt könnte man davon sprechen, dass der Zuschauer dazu animiert wird, dran zu bleiben und nicht wegzuschalten.

Dazu passt perfekt der Werbeslogan von Betty "Draußen ist doof!". "Drinnen könnte es teuer werden" ist ein Spruch, der Betty womöglich besser umschreibt.

Till Frommann

Spiegel Online, Hamburg, 02. Februar 2007
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,druck-463564,00.html

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