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Politik, Populismus und Kinderporno

Der Gesetzesentwurf zu Internet-Sperren ist heftig umstritten: Die Koalition hält ihn für ein wirksames Mittel gegen Kinderpornografie, Opposition und Experten widersprechen vehement und befürchten weitgehende Zensur im Netz. Am Mittwochnachmittag wurde die Vorlage im Bundestag verhandelt.

Kann man etwas dagegen haben, wenn Menschen der Zugang zu kinderpornografischen Inhalten im Web erschwert wird? Eigentlich nicht - aber offenbar denken viele anders als Familienministerin Ursula von der Leyen, deren "Internet-Sperrlisten", von der Koalition kürzlich in einen Änderungsantrag des Telemediengesetzes gegossen, am Mittwoch im Deutschen Bundestag verhandelt wurde.

Der Bundestag betreibt auch einen Web-Server, auf dem Bürger dieses Landes Petitionen einbringen können. Eine der dort gerade präsentierten Vorlagen hat beste Chancen, bis Freitag zur bisher meistunterzeichneten Bürger-Petition an den Bundestag zu werden. Seit Montag unterzeichnen täglich rund 15.000 Bundesbürger gegen den von Ursula von der Leyen eingebrachten Gesetzentwurf.

Hier der Wortlaut: "Wir fordern, dass der Deutsche Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnt. Wir halten das geplante Vorgehen, Internet-Seiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die 'Sperrlisten' weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Web-Seiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.

Begründung: Das vornehmliche Ziel - Kinder zu schützen und sowohl ihren Missbrauch, als auch die Verbreitung von Kinderpornografie, zu verhindern stellen wir dabei absolut nicht in Frage - im Gegenteil, es ist in unser aller Interesse. Dass die im Vorhaben vorgesehenen Maßnahmen dafür denkbar ungeeignet sind, wurde an vielen Stellen offengelegt und von Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen mehrfach bestätigt. Eine Sperrung von Internet-Seiten hat so gut wie keinen nachweisbaren Einfluss auf die körperliche und seelische Unversehrtheit missbrauchter Kinder."

Die der Petition zugrundeliegende Kritik lautet also zum einen, dass die Sperrlisten einer Polizeibehörde die Möglichkeit geben würde, Zensur auszuüben; dass die Sperrlisten zum anderen für den Zweck, dem sie nach Angaben der Koalition dienen sollen, ungeeignet sind.

Von der Leyen: technisch bewandert = verdächtig

Das ist genau die Art von Widerspruch gegen ihr Vorhaben, die von der Leyen nicht gelten lässt. Wer auch nur Ahnung vom Medium hat, ist in ihrer Weltsicht offenbar potentiell ein Pädophiler. Das kann man zumindest den geradezu skandalösen Äußerungen der Familienministerin in einem Radiointerview am 24. April 2009 entnehmen:

"Wir wissen, dass bei den vielen Kunden, die es gibt, rund 80 Prozent die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder, der jetzt zuhört, kann eigentlich sich selber fragen: Wen kenne ich, wer Sperren im Internet aktiv umgehen kann? Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle. Die bewegen sich in ganz anderen Foren. Die sind versierte Internet-Nutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem widerwärtigen Geschäft."

Man muss das übersetzen: Von der Leyen hält 20 Prozent der Nutzer des Internet für mögliche Pädokriminelle. Geht man davon aus, dass auch nur 50 Prozent der Bevölkerung Web-aktiv sind, redet man über mindestens 10 Prozent der Bundesbürger. Kein Wunder, dass von der Leyen einen "Massenmarkt" für Bilder vergewaltigter Kinder und Babys im Web entdeckt.

Erkennen kann man die Verdächtigen ihrer Meinung nach daran, dass sie in der Lage sind, die Proxy-Einstellung ihres Browsers zu verändern. Das dauert - bei versierten Internet-Nutzern - vielleicht 15 Sekunden. Wenn Sie absolut keine Ahnung haben, dauert es vielleicht 60 Sekunden. Wie viele Menschen aus dem Effeff wissen, wie man Browsereinstellungen verändert, weiß niemand genau.

Fragen wir doch einmal:

Das ist für die Kritiker allerdings auch keine relevante Frage. Relevant ist für sie, dass die Sperren nichts bewirken bei denen, die sie stoppen sollen. Bewirken würde es etwas, wenn man die Kinderporno-Server abschalten würde, sofern man die Adressen schon kennt, sagen Kritiker.

Zu denen gehört - anders als die Vertreter der Kinderhilfe und von Jugendschutz.net, die schon die Zugangsbehinderung für begrüßenswert halten - aus prinzipiellen Gründen und persönlicher Betroffenheit Christian Bahls, Gründer des Vereins "Missbrauchsopfer gegen Internetsperren". In einem Interview mit der "Zeit" machte er deutlich, warum man als Opfer gegen den Vorschlag der Familienministerin sein kann:

"Weil er Kinderpornografie nicht bekämpft. Da ist irgendwo im Internet ein Missbrauch dokumentiert und die Bundesregierung schaut weg. Und sagt uns Bürgern, wir sollen auch wegschauen. Was noch viel krasser ist: Es werden zwischen den Staaten nur die Sperrlisten für die Filter ausgetauscht. Doch niemand bekämpft in seinem eigenen Land die Server, auf denen die Inhalte lagern. Wenn die zu den 1500 Adressen gehörenden Server in den USA, Holland, Kanada und Deutschland dicht gemacht würden, die derzeit existieren, wären 90 Prozent der weltweit mit einem Browser erreichbaren Kinderpornografie nicht mehr verfügbar."

Denn nicht wenige der über die von Polizeibehörden zusammengestellten Sperrlisten (zum Beispiel aus Skandinavien) verweisen auf Server in Deutschland und andere westliche Staaten.

Was man natürlich gar nicht wissen darf, denn die Listen des BKA werden geheim sein. Mehr noch: Da die Suche nach ihnen einer Suche nach Kinderpornografie gleichkäme, machte man sich schon strafbar.

Das ist die nächste Kritik: Wer wird die Wächter des Web bewachen? Wer dem BKA auf die Finger schauen? Wer wird kontrollieren, dass wirklich nur der Zugang zu Kinderpornografie erschwert wird? Der Gesetzentwurf enthält dazu keinerlei Regelungen.

Auch die täglich an die Provider weitergegebene Sperrliste mit 1000 einschlägig kinderpornografischen Adressen zu bestücken, dürfte kompliziert werden, sagen Experten: Das WWW - und nur das soll hier gesperrt werden - ist definitiv nicht der normale Verbreitungsweg für pädokriminelle Inhalte. Der normale Verbreitungsweg sucht geheime Pfade: Über geschlossene Benutzergruppen und Netzwerke, über P2P-Verbindungen bis hin zum per Chat und SMS koordinierten Postversand.

Natürlich gibt es daneben noch eine - nach Erkenntnissen britischer Aufsichtsbehörden seit Jahren sinkende - Zahl von WWW-Servern, auf denen solche Inhalte auftauchen. Aber dass die Öffentlichkeit davor geschützt werden muss, ständig versehentlich über Massen solcher Inhalte zu stolpern, ist eine erhebliche Verzerrung der Tatsachen.

Fakt ist: Es gibt sicher viel zu viele kinderpornografische Inhalte im Internet. Das meiste davon ist aber auch aus Täterperspektive aus guten Gründen sehr, sehr gut versteckt. Dass die Täter ein Interesse daran hätten, möglichst viele Internet-Surfer zu erreichen, ist wohl ebenfalls eine Fehlannahme: Sie wollen vor allem nicht erwischt werden.

Auch hier kann man ja mal nachfragen (alle unsere Votes sind anonym):

Innerhalb der Koalition hat sich von der Leyen trotz massiver Kritik von Expertenseite durchsetzen können. Das hat viel mit Wahlkampf zu tun: Am Ende konkurrierten die Ministerinnen von der Leyen (CDU) und Brigitte Zypries (SPD) darum, dem Gesetzesvorschlag ihren Stempel aufzudrücken.

Die Vorstellung der von der Koalition angenommenen Version des Gesetzestextes geriet zur Aufführung vom "Zickenkrieg im Kabinett" ("Süddeutsche Zeitung"), bei der sich beide vor versammelter Presse bei der Deutung des Entwurfs widersprachen. Zypries setzte sich durch: Sie ließ eine erhebliche Verschärfung in das Gesetz hineinschreiben, die in den ersten Entwürfen, mit den von der Leyen das Gesetz mehrheitsfähig gemacht hatte, ausdrücklich ausgeschlossen worden war.

Denn von der Leyen hatte der Öffentlichkeit ihren Gesetzesentwurf als Präventivmaßnahme schmackhaft gemacht: Arglose Surfer sollten durch Warnschilder gestoppt werden, wenn sie versuchen, eine registrierte Seite aufzurufen. Wörtlich hieß es im Text des von Familienministerium und BKA vorgestellten "Stoppschildes":

"Weder Informationen zu Ihrer IP-Adresse noch andere Daten, anhand derer Sie identifiziert werden könnten, werden vom Bundeskriminalamt gespeichert, wenn diese Seite erscheint. Die Sperrung dieser Webseiten erfolgt ausschließlich, um die kriminelle Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs und die weitere Ausbeutung der Kinder zu erschweren."

Dann kam Zypries und setzte durch, dass die IP-Daten des per Stoppschild Gemahnten eben doch erfasst und auf Anfrage an die zuständigen Behörden weitergereicht werden sollen. So steht das nun im Gesetzentwurf, der im Bundestag verhandelt wird:

"Die Diensteanbieter dürfen, soweit das für die Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 4 erforderlich ist, personenbezogene Daten erheben und verwenden. Diese Daten dürfen für Zwecke der Verfolgung von Straftaten nach § 184b des Strafgesetzbuchs den zuständigen Stellen auf deren Anordnung übermittelt werden."

Um das möglich zu machen, bedarf es noch einer kleinen Justierung an einem anderen Gesetz - unserer Verfassung: "Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch die Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Absatz 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen."

Risiken und Nebenwirkungen - das deutsche Web als Paranoia-Zone?

Der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Thilo Weichert sagte der "Frankfurter Rundschau" sehr deutlich, was er von diesen Verschärfungen hält: Die Speicherung der Daten mache alle Nutzer pauschal zu Verdächtigen - selbst wenn sie beim Anklicken eines Links keine Ahnung haben, auf was für einer Seite sie landen.

Das passiert zum Beispiel durch das Anklicken von Links in Spam-Mails: Muss man künftig ein Ermittlungsverfahren des BKA fürchten, wenn man im Web betrogen oder ausgetrickst wird? Weichert sieht nicht nur darin Gefahren: "Damit würde sich jeder Internet-Nutzer schon der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen, wenn er eine ihm noch nicht bekannte Adresse aufruft."

Nein, versichert Justizministerin Brigitte Zypries: Nicht jeder, der das Stoppschild zu sehen bekommt, würde erfasst und gemeldet. Wie bei der Telekommunikationsüberwachung würden nur die Daten von Personen durchgereicht, bei denen eine richterliche Genehmigung zur Überwachung vorliegt. Keineswegs sollten alle Daten gespeichert und im Nachhinein durchforstet werden.

Der Widerspruch wird deutlich lauter

Nach einigen Tagen des Zögerns hat sich inzwischen die Opposition vorgewagt. Das ganze Vorhaben, meint etwa Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, sei "an Populismus kaum zu überbieten". Er kritisiert den Gesetzentwurf zu Web-Sperren als "unverhältnismäßigen Eingriff in die Informationsfreiheit".

Ansonsten sei der Sperrfilter-Plan nichts als symbolische Politik: Die Bundesregierung wolle vor den Wahlen suggerieren, sie gehe wirkungsvoll gegen Kinderpornografie vor. Das Gegenteil sei der Fall: Statt wirkungsvoll gegen die Anbieter vorzugehen, greife die Regierung, obwohl sie es besser wüsste, "zu einer Maßnahme, die wirkungslos ist".

Und auch er befürchtet Zensur: "Keiner weiß, welche Seiten das BKA künftig noch auf seine Liste setzt."

Dass auf den Sperrliste noch andere Dinge als Kinderpornografie landen könnten, wäre nach Meinung der "taz", die ein "Netz voller Stoppschilder" befürchtet, das einzig mögliche Mittel, um zu verhindern, dass die Listen am Ende "peinlich leer" ausfielen.

"Wenn das Kinderpornosperrgesetz so zum Erfolg manipuliert wurde", schrieb dort am Montag der rechtspolitische Korrespondent Christian Rath, "werden sich bald andere Interessenten melden: Die Musikindustrie will illegale Download-Seiten sperren, die staatlichen Lotto-Gesellschaften wollen verbotene Internet-Glücksspiele bannen, und der Verfassungsschutz will den Zugang zu strafbaren Bombenbauanleitungen verhindern. Sie alle werden darauf verweisen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf und Verbote selbstverständlich auch im Netz durchgesetzt werden müssen."

Solche Bedenken gibt es auch bei vielen Abgeordneten. Neben den Grünen profiliert sich auch die FDP als Kritikerin des Sperrlisten-Gesetzes. Die Liberalen bringen dabei noch ganz andere, weit formalere Bedenken ins Spiel.

Gisela Piltz, die innenpolitische Sprecherin der FDP, hält das Gesetzesvorhaben für noch nicht einmal verfassungskonform: "Es ist fraglich, ob der Bund ein Gesetz verfassungsgemäß erlassen kann, welches die Sperrung von Internet-Seiten nach inhaltlichen Kriterien zum Gegenstand hat."

Die Kritik setzt an zwei Punkten an. So regelt das Telemediengesetz, für das der Bund zuständig ist, lediglich das Recht der Wirtschaft. "Die Regelung von Medieninhalten liegt aber in der Gesetzgebungskompetenz der Länder", sagt Piltz. Sie verweist zudem darauf, dass das Bundeskriminalamt mit dem Gesetz neue Befugnisse bei der Gefahrenabwehr erhalte, die auch in der Kompetenz der Länder liege. "Ob der Bund aufgrund der föderalen Aufgabenteilung ein Gesetz zur Gefahrenabwehr im Bereich der Verbreitung von Kinderpornografie erlassen darf, ist daher fraglich."

Bisher lief die Diskussion über die Internet-Sperren ohne parlamentarische Debatte. Am Mittwochnachmittag erreichte das Thema den Bundestag, wo es erstmals für eine Stunde diskutiert wurde: Vertreter der Parteien gaben deren grundsätzliche Positionen noch einmal wieder, CDU und SPD stehen hier gegen FDP, Grüne und Linke. Danach wurde das Thema an die zuständigen Ausschüsse verwiesen.

Von den zuständigen Ministerinnen und Ministern von der Leyen, Zypries, Guttenberg und Schäuble, die den Gesetzesentwurf so publikumswirksam auf den Weg gebracht hatten, war niemand anwesend. Im Plenum lauschten rund zwei Dutzend Abgeordnete, die Regierung ließ sich durch zwei Staatssekretäre vertreten - und damit "prächtig", wie die CDU-Abgeordnete Michaela Noll betonte. Ironisch war das offenbar nicht gemeint.

Frank Patalong

Spiegel Online, Hamburg, 06. Mai 2009
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,druck-623125,00.html

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