Florian Glatzner hat sich in seiner wirklich fabelhaften Magisterarbeit mit Videoüberwachung und Kriminalitätsbekämpfung auseinandergesetzt. Inzwischen arbeitet er beim FoeBud und organisiert gerade unter anderem an den BigBrotherAwards in Bielefeld und an der Demo Freiheit statt Angst mit. Ich hab ihm ein paar Fragen gestellt, und er war so freundlich, sie zu beantworten.
Wenn man von der Videoüberwachung in Deutschland spricht, muss man meiner Meinung nach zwischen der Überwachung von öffentlichen, privaten und „paraprivaten“ Räumen (wie Bahnhöfen oder Kaufhäusern) unterscheiden. Denn die rechtlichen Grundlagen und die (Aus-)Wirkungen der Videoüberwachung sind in diesen Räumen verschieden.
In meiner Arbeit behandle ich die polizeiliche Überwachung des öffentlichen Raumes als Instrument der Kriminalitätsbekämpfung. Die Anzahl der Kameras, die zu diesem Zweck installiert wurden, ist noch recht gering. Nur knapp über 100 (von geschätzten 800.000) Videoüberwachungskameras in Deutschland werden von der Polizei betrieben. Das macht die Sache aber nicht besser, da die positive Wirkung dieser Kameras - wie ich in meiner Arbeit gezeigt habe - überschätzt und die negativen Auswirkungen unterschätzt werden.
Diese Frage stelle ich auch in meiner Arbeit - ich kann sie also leider nicht beantworten. Dabei hätte eine öffentliche Registerstelle nur Vorteile. Die Transparenz und die Kontrollmöglichkeiten der Überwachung würde steigen. Immerhin werden die Anlagen von Steuergeldern bezahlt, also sollte sich auch jeder darüber informieren können, wo und zu welchem Zweck videoüberwacht wird, wie die jeweiligen Verfahrensweisen gestaltet sind, wer der Ansprechpartner für das entsprechende System ist und wie viel die Maßnahme kostet.
Außerdem soll die Videoüberwachung ja präventiv wirken, und das geht nur, wenn die Menschen wissen, wo sich die Kameras befinden.
Das ist richtig. Ich glaube, die Videoüberwachung hat auf Terroristen eine gegenteilige Wirkung. Gerade der Terrorismus braucht die Öffentlichkeit, um den größtmöglichen Schrecken zu verbreiten. Ein Anschlag, den keiner sieht, hat lange nicht so große Auswirkungen wie einer, der vor laufenden Kameras geschieht. Gerade das war ja auch eine neue Qualität am 11. September 2001. Die Menschen konnten live mitverfolgen, wie das zweite Flugzeug in das WTC krachte. Das war von den Terroristen sicher beabsichtigt.
Es stimmt auch, dass die Videoüberwachung in Deutschland nicht für die Verfolgung des Terrorismus legitimiert ist. Es ist so, dass Instrumente der Gefahrenabwehr - also der Prävention - in den Polizeigesetzen festgelegt werden, während Mittel der Strafverfolgung in der Strafprozessordnung stehen. Die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes wird jedoch in den Polizeigesetzen geregelt. Wenn durch die Kameras also einen Terroristen filmen, ist das gut - aber nicht ihr Zweck. Wäre dies der Fall, wäre der grenzenlosen Ausweitung der Videoüberwachung keine Grenzen gesetzt, da immer irgendwo ein Anschlag geschehen kann.
Städte verlieren durch die Einschränkung der Anonymität die mit ihnen verbundene Freiheit (“Stadtluft macht frei“). Da Menschen, die überwacht werden, sich anpassen (das ist ja der Sinn der Überwachung), kann die Vielfalt der Städte und ihre Innovationskraft verloren gehen.
Studien haben auch gezeigt, dass Videoüberwachung nicht neutral ist, sondern stark von den Einschätzungen der Überwacher abhängt. So werden nicht alle Menschen gleichermaßen beobachtet, sondern bestimmte Gruppen - wie Obdachlose oder ausländische Jugendliche - verstärkt. Und das nur, weil von ihnen auf Grund ihres Aussehens mehr kriminelle Handlungen erwartet werden, unabhängig von ihrem tatsächlichem Verhalten. Da diese Gruppen aber vermehrt überwacht werden, kommen natürlich mehr Delikte zu Tage, wodurch die Überwachung wiederum gerechtfertigt wird.
Weil sich die Videoüberwachung meist auf kommerziell interessante Gebiete, - wie die Innenstädte - beschränkt, werden Menschen, die einfach nur unerwünscht aussehen, aus ihnen verdrängt. Sie werden damit auch räumlich (und nicht nur gesellschaftlich) an den Rand gedrückt und ihre Teilhabechancen vermindern sich weiter. Es entstehen „Zonen“ für finanzstarke Menschen auf der einen und den „Rest“ auf der anderen Seite. Die Videoüberwachung ist also ein Instrument, das dazu geeignet ist, bestehende Klischees, Vorverurteilungen und Herrschaftsstrukturen zu verstärken.
In Wien hat es der Datenschutzverein Quintessenz geschafft, sich mit einfachsten Mitteln in die Funkkamers der Polizei zu hacken. Nachdem sie auf die Kameras zugegriffen hatten, mussten sie feststellen, dass diese nicht nur auf den zu beobachtenden Platz, sondern auch auf die umliegenden Häuser gerichtet wurden.
Solch ein voyeuristisches Verhalten wird auch durch die Studie „The Unforgiving Eye“ der University of Hull bestätigt. Während 600 Beobachtungsstunden wurde beispielsweise nur eine Frau zu ihrem eigenen Schutz überwacht, im Gegensatz dazu hatten zehn Prozent aller gezielten Beobachtungen voyeuristische Gründe. Die Frauen haben dabei nicht einmal die Chance, diese Diskriminierung wahrzunehmen und sich dagegen zur Wehr zu setzten.
Videoüberwachung funktioniert, allerdings nur in ganz wenigen Fällen, in denen die Rahmenbedingungen optimal sind. Es konnten z.B. bei der Überwachung von Großparkplätzen Erfolge bei der KfZ-bezogenen Kriminalität (Diebstahl aus und von Autos) festgestellt werden, vor allem, wenn sie durch weitere kriminalitätsentschärfende Maßnahmen - wie eine verbesserte Beleuchtung oder Umzäunung - gestützt wurde. Dort scheinen die Bedingungen ideal zu sein. Leere übersichtliche Räume, wo Menschen sich mit dem erklärten Ziel aufhalten, ihr Auto zu parken oder damit wieder wegzufahren. Abweichungen sind leicht auszumachen und Vandalismus ist gut zu erkennen.
Viel teurer sogar, als die meisten Menschen denken. Tatsächlich sind Überwachungssysteme heute sehr viel kostengünstiger als noch vor wenigen Jahren. Allerdings sollten diese Kosten nicht unterschätzt werden, da sie sich nicht nur auf die Kameras beschränken, sondern auch weitere Hardware, Rechnerkapazitäten, Übertragungsleitungen und Wartung sowie Installation, Software, Schulung, Service, Datenübertragung und Personalkosten mitbedacht werden müssen.
Leider gibt es in Deutschland bis jetzt keine umfassende Untersuchung darüber, welche Kosten ein Überwachungssystem insgesamt hervorruft. Aber um nur mal ein Beispiel zu nennen: Die Videoüberwachung in Brandenburg (13 Kameras an vier Standorten) verursachte bisher jährliche Kosten von rund 255.000 Euro. Diese setzen sich aus den Mietkosten der Videotechnik und den Kosten für Datenübertragungsleitungen zusammen. Beim Aufbau der Videotechnik entstanden einmalige Kosten in Höhe von 59.730 Euro. Der Anteil der aufgedeckten Straftaten durch die Kameras liegt bei 0,16%. Studien haben gezeigt, dass Verbesserungen der Straßenbeleuchtung Straftaten besser verhindern als Videoüberwachung - und dabei natürlich viel billiger sind.
Die „Kooperation“ findet auf verschiedenen Ebenen statt. Zum einen gibt es den Fall, dass sich Unternehmen an der Finanzierung der Überwachung beteiligen. In Dresden wurde zum Beispiel das Überwachungssystem im Wert von ca. 50.000 Euro von dem Kaufhaus Karstadt und anderen ortsansässigen Geschäftsleuten gestiftet. Auf diese Weise wird nicht da überwacht, wo es möglicherweise wirklich sinnvoll ist, sondern da, wo die Unternehmen es wollen.
Auf der anderen Seite kommt es sogar vor, dass der öffentliche Raum privatisiert wird, um die Videoüberwachung zu ermöglichen. Nachdem z.B. im Ravensberger Park in Bielefeld die rechtliche Grundlage der Videoüberwachung entfallen war (weil es dort nicht genug Staftaten gab und es sich somit nicht um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelte), wurde laut darüber nachgedacht den Park zu privatisieren, um die Überwachung beibehalten zu können. In Berlin wurde zur Fußball Weltmeisterschaft 2006 dem Betreiber der „Fanmeile“ das Hausrecht über die Straße des 17. Juni zugesprochen, um videoüberwachen zu können.
Von einem demokratischen Prozess bei der Einrichtung der Überwachung kann hier kaum mehr gesprochen werden. Der öffentliche Raum in den Städten geht mehr und mehr verloren. In ihm entfaltet sich eine unsichtbare Architektur von elektronischen, digitalen Technologien, die den Raum analog physischer Mauern und Gitter partitioniert und strukturiert. Von der dadurch entstehenden „Zonenbildung“ habe ich ja bereits oben gesprochen. Zugleich wird es für den Bürger durch die unklaren Grenzen und Eigentumsverhältnisse immer schwieriger zu unterscheiden, ob er sich momentan auf öffentlichen oder privaten Grund bewegt.
Frédéric Valin
Spreeblick.com, Berlin, 30. Juli 2007
Original: http://www.spreeblick.com/2007/07/30/watch-the-watchers/