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Rena Tangens über Datenkraken, Widerstand und Schilys Lebenswerk

Rena Tangens vom Künstlerduo Art d'Ameublement engagiert sich gegen die Zunahme von Überwachung und Datensammlung. Sie ist eine der Initiatorinnen der deutschen Big Brother Awards, mit denen auf „Datenkraken" in Politik und Wirtschaft aufmerksam gemacht werden soll. Zuletzt ging ein Preis an Otto Schily für sein Lebenswerk.

SZ: Seit 2000 werden jährlich die deutschen Big Brother Awards an Personen oder Institutionen vergeben, die als Datensammler und Überwacher auffallen. Woher rührt Ihr Engagement?

Rena Tangens: In der künstlerischen Arbeit ging es uns immer darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem Menschen sich wohl fühlen, der dazu anregt, aktiv zu werden. Für mich ist das eine logische Verbindung. Zu einem kreativen Freiraum gehört das Gefühl, nicht ständig beobachtet, beurteilt und kontrolliert zu werden. Speziell die digitale Kommunikation bietet unendliche Möglichkeiten, über andere Menschen nebenbei etwas herauszufinden. Die Digitalisierung der Kommunikation fördert ein Machtgefälle zwischen denen, deren Daten erfasst werden und denen, die darauf Zugriff haben. Wir wollten dieses Machtgefälle verändern und dafür öffentliche Wirkung entfalten. Dafür schienen uns die Awards gut geeignet, weil anhand konkreter Beispiele verschiedene Facetten des Themas beleuchtet werden können.

SZ: Der Name des Big Brother Award geht zurück auf den staatlichen Überwachungspatriarchen aus George Orwells „1984". Ist er als Verkörperung der totalen Überwachung heute noch zeitgemäß?

Tangens: Das Konzept eines totalitären Überwachungsstaates ist tatsächlich nicht mehr treffend. Wenn man bei den literarischen Metaphern bleibt, kann man sagen, dass „Schöne Neue Welt" von Huxley eine wesentlich modernere Vision ist, da sie von viel mehr Zustimmung der Bevölkerung ausgeht, die ihre Freiheiten bereitwillig preisgibt, solange sie konsumieren kann. Das Ausgeliefertsein eines Individuums gegenüber einer anonymen Struktur ließe sich auch anhand von Kafkas „Process" zeigen. Dennoch ist Big Brother der Namensgeber gebheben, da wir ja keinen Literaturpreis vergeben wollen und dieses Projekt international seit 1998 unter diesem Namen firmiert. „Big Brother" weckt immerhin die Assoziationen mit einem nebulösen Gefühl des Unbehagens an der Überwachung.

SZ: Die öffentliche Diskussion um Überwachung und Kontrolle wird heute anders geführt als vor zwanzig Jahren. Datenschutz scheint langweilig geworden zu sein.

Tangens: Einige Ansichten haben sich fundamental verschoben. Bei den Diskussionen um den Großen Lauschangriff 1996 sagte Sabine Leutheuser-Schnar-renberger - um zu verdeutlichen, wieso das nicht inf rage kommt -, warum legalisieren wir nicht die Folter wenn sie doch der Wahrheitsfindung dient. Das war damals unvorstellbar. Heute ist diese Grenze infrage gestellt. Daran sieht man klar, wie sich die Diskussion mittlerweile gewendet hat.

SZ: In Zeiten des Terrors wird mit dem erhöhten Schutzbedürfnis der Bevölkerung argumentiert. Ist Terror-Bekämpfung ein schlagendes Argument gegen Datenschutz?

Tangens: Das Terrorismus-Argument ist ein vorgeschobenes, das mit großer Freude bei jeder Gelegenheit hervorgezogen wird, um tiefgehende Eingriffe, die man schon länger vorbereitet hat, durchzusetzen. Die Terror-Angst wird bewusst geschürt.

SZ: Wer hat Interesse an weniger Datenschutz und warum?

Tangens: Nicht nur die Politik, sondern auch eine eigene Industrie, die an Überwachungstechnologien verdient. Normale Polizeiarbeit wird durch Kameras, Mikrofone und Datenbanken ersetzt. Der Abbau des Sozialstaates wird zwangsläufig von einem Abbau der Bürgerrechte begleitet. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und immer mehr Menschen keine Hoffnung haben, dass sie ihre Talente verwirklichen können, gibt es Unfrieden. Und den versucht man durch Kontrolle unter dem Deckel zu halten.

SZ: Wer ist die größere Datenkrake, der Staat oder die Wirtschaft?

Tangens: Sicherlich die Wirtschaft, wobei der Staat großzügig zulässt, dass Unternehmen enorme Datenmengen sammeln, um sich im Bedarfsfall dieser Daten zu bedienen.

SZ: Wenn man einkauft, Geld abhebt, E-Mails schreibt, hinterlässt man überall Spuren. Darüber könnte man auch in Verzweiflung geraten.

Tangens: Das ist richtig. Dennoch ist es vielen Menschen keineswegs egal, was hier passiert; mit den Awards versuchen wir der Resignation entgegenzuwirken, und haben schon einiges erreicht. Freiräume müssen täglich erkämpft und verteidigt werden. Die Datensammelwut wird immer größer, gleichzeitig wächst das Problembewusstsein. Wir empfehlen Datensparsamkeit. Geben Sie ganz einfach nie Daten an, die für den jeweiligen Vorgang nicht gebraucht werden.

Klaus Birnstiel

Süddeutsche Zeitung, München, 07. Januar 2006
Original: Nicht bekannt

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