Werner Hülsmann, 45, selbstständiger Datenschutzberater und Mitarbeiter des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Für Ende September plant dieser eine Demo gegen den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. In drei Wochen wird es in Berlin eine große Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung geben – aus welchem Anlass?
Konkret geht es darum, dass die Verabschiedung des Gesetzes kurz bevorsteht. Am 21.9 gibt es eine Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestags. Davor wollen wir ein weiteres Mal deutlich machen, dass es viele Bürger gibt, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung und den immer stärker um sich greifenden Überwachungswahn wehren.
Wird es dabei nur um die Vorratsdatenspeicherung gehen, oder auch um andere Vorhaben der Regierung wie den so genannten Bundestrojaner?
Das ist natürlich das Hauptthema, aber es gibt einen ganzen Katalog von Dingen, die wir kritisieren. Dazu gehören neben der Onlineuntersuchung die Videoüberwachung, die Einführung von Biometrie und RFID-Chips in Pässen und das Erheben von Flugpassagierdaten und das Aufzeichnen von Kfz-Kennzeichen. Darüber hinaus fordern wir auch, dass die bestehenden Überwachungsgesetze in den Prüfstand kommen und zwar nicht nur solche, die seit 2001 verabschiedet worden sind, sondern alle seit 1968 beschlossenen Gesetze.
Nun könnte man argumentieren, dass die Regierung mit diesem Gesetz nur eine EU-Richtlinie umsetzt und keine andere Wahl hat.
Aber die Regierung ist auch daran beteiligt gewesen, dass es überhaupt zu dieser Richtlinie kam. Und dass, obwohl der Bundestag zuvor beschlossen hat, dafür keine Zustimmung zu geben. Eine weitere Sache ist: Auch die EU kann keinen ihrer Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, eine verfassungswidrige Regelung einzuführen. Außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass den aktuellen Klagen gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem europäischen Gerichtshof statt gegeben wird, so dass es zumindest sinnvoll gewesen wäre zu warten, bis diese Klagen verhandelt worden sind. Hinzu kommt noch, dass die Bundesregierung in ihrer Umsetzung weitergehen will, als es die ursprüngliche Richtlinie vorgesehen hat. Ursprünglich sollte die Datenspeicherung nur für schwere Straftaten benutzt werden – in Deutschland umfasst der der Straftatenkatalog alles von der Beleidigung per Telefon über Internetbetrug bis hin zur Urheberrechtsverletzung.
Ihr Arbeitskreis will nun Verfassungsbeschwerde einreichen.
Wir haben vor diese Beschwerde einzureichen, sollte das Gesetz verabschiedet werden.
Wie viel Unterstützung erfahren sie in der Gesellschaft?
Für die Verfassungsbeschwerde haben über 5000 Bürger ihre Vollmacht in Papierform an unseren rechtsanwalt geschickt. Online sind es noch wesentlich mehr, allerdings benötigen wir für die Beschwerde diese Vollmacht.
Man könnte meinen, das sei vergleichsweise wenig Resonanz.
Für ein Datenschutzthema ist das sogar eine sehr hohe Resonanz, dass sieht man allein an der Liste der Unterstützer auf unserer Website. Im Vergleich zu anderen Vorhaben, wie beispielsweise der Flugdatenspeicherung gibt es eine relativ breite Basis der Ablehnung und ein hohes Bewusstsein. Dass diese Themen im Allgemeinen eine geringe Aufmerksamkeit genererieren, kann ich mir nur damit erklären, dass in den vergangenen Jahren keine größere Datenschutz-GAUs an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Ist die geringe Beteiligung vielleicht auch als ein Zeitgeistphänomen zu betrachten?
Das denke ich schon. Es hat in den letzten Jahren eine Entwicklung stattgefunden, die den Wert der Privatsphäre geringschätzt. Viele stellen sich und ihre Privatleben in Blogs oder sozialen Netzwerken dar. Daneben gibt es auch die Problematik mit den Bonusprogrammen oder Gewinnspielen, bei denen jedes Jahr Millionen von Daten und Adressen eingesammelt werden. Man kann sagen: Die allgemeine Sensibilität für den Wert der Privatsphäre hat sich reduziert.
Auf ihrer Website zeichnen auch viele Unterstützer aus politischen Nachwuchsorganisationen.
Ich finde es sehr spannend, dass beispielsweise die Jusos mit ihrer Unterstützung ganz offen ihre Mutterpartei kritisieren. Inwieweit dort aber Überzeugungsarbeit geleistet werden kann, ist natürlich eine andere Frage. Aber unsere Erfahrung ist, dass es auch in den Regierungsfraktionen viele Abgeordnete gibt, die da einverstanden sind und wir haben bereits einige Stimmen gehört, die sagen, dass sie gegen das Gesetz stimmen werden. Auch viele Ortsverbände haben sich gegen die Vorratsdatenspeicherung eingesetzt.
Wie ist es die Datenschutzsituation in der freien Wirtschaft einzuschätzen?
Rabattprogramme oder RFID-Chips sind keine Dinge, die gegen geltendes Recht verstoßen, sondern Methoden, die das Recht so weit wie möglich ausnützen. Leider ist es so, dass geltendes Recht den momentanen Entwicklungen nicht standhält und wir nicht immer von dem so genannten mündigen Bürger ausgehen können, der sich bewusst ist, dass er möglicherweise für ein Prozent des Preises seine Daten preisgibt. Auf der anderen Seite ist natürlich auch so, dass etwaige Verstöße von den Aufsichtsbehörden nicht ausreichend sanktioniert werden. In Bayern sind es, glaube ich, gerade mal fünf oder sechs Leute, die dafür zuständig sind.
Wie machen sie Leuten die Problematik klar, die sagen, sie hätten nichts zu verbergen und deswegen auch nichts dagegen?
Dazu habe ich vor kurzem auf einem Vortrag einen sehr guten Satz gehört. Der Redner sagte: Es gibt ja auch ein Arztgeheimnis, ein Bankgeheimnis und ein Steuergeheimnis gibt und wer dann immer noch nichts zu verbergen hat, der ist ein armer Mensch, weil er offensichtlich in keiner Weise ein Privatleben hat, das es sich zu schützen lohnt.
Das Motto der Demo heißt Freiheit statt Angst. Denken Sie, dass es Menschen gibt, die ihre Freiheit aufzugeben bereit sind, um keine Angst mehr zu haben?
Genau auf diesen Mythos zielen wir ab. Es ist ja nicht so, dass durch diese Maßnahmen mehr Sicherheit entstehen würde. Letztes Jahr hat es ein Datenschutzranking gegeben, bei dem Deutschland noch als eines der liberalsten Länder gelistet wurde und selbst Angela Merkel hat ja gesagt, dass Deutschland eines der sichersten Länder der Welt sei. Man könnte also folgern, dass Sicherheit Freiheit erfordert. Ein anderes Beispiel ist Großbritannien, ein Land mit einer sehr hohen Dichte an Videoüberwachung - jeder Londoner Bürger wird im Schnitt 300 mal täglich gefilmt, trotzdem ist die Stadt nicht sicher. Außerdem wird 80 Prozent des Etats für Kriminalitätsprävention für die Überwachung ausgegeben, andere Projekte, die mit Sicherheit mehr erfolg versprechen würden, bleiben auf der Strecke.
michael moorstedt
Süddeutsche Zeitung, München, 04. September 2007
Original: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/396948