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Der gläserne Angestellte

Spitzeleien in Unternehmen

Profi-Detektive bespitzeln Angestellte, Dax-Konzerne fordern Auszubildende zum Urintest auf: Die Überwachung von Mitarbeitern geht quer durch alle Branchen und Gehaltsklassen. Und die Bundesregierung ziert sich, rechtliche Grundlagen zu schaffen.

Zuerst schlugen die Angestellten Alarm. Mitarbeiter des Discounters Lidl wurden systematisch vom eigenen Arbeitgeber mit versteckten Kameras bespitzelt. Ein Einzelfall, sagte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) noch im April in der ARD-Talkshow von Anne Will.

Inzwischen gehen Spitzel-Vorwürfe quer durch alle Branchen und Gehaltsklassen. Beim Discounter Norma sollen Mitarbeiter heimlich überwacht worden sein, ein ähnlicher Verdacht wurde im ZDF gegen den Möbelkonzern Ikea laut. Die Fastfood-Kette Burger-King soll auf diese Weise sogar versucht haben, Betriebsratswahlen zu verhindern. Und seitdem am Wochenende Spitzelvorwürfe gegen die Telekom erhoben wurden, ist auch klar, dass selbst Aufsichtsräte und Topmanager nicht vor den Attacken geschützt sind.

Von Einzelfällen redet längst niemand mehr - und Experten schlagen Alarm: "Mitarbeiterüberwachung wird immer mehr zum gängigen Mittel", klagt Rena Tangens, Vorstand des Datenschützerklubs FoeBuD. Und auch Peter Wedde, Professor für Arbeits- und Datenschutzrecht an der FH Frankfurt, hat beobachtet, dass "eine Kultur des Überwachens immer mehr um sich greift".

Software schlägt Alarm

Der Nährboden, auf dem diese Kultur wächst, ist gefährlich. Da sind einerseits wissenshungrige Unternehmen, die Informationen über ihre Belegschaft sammeln wollen. Sie treffen auf verunsicherte Angestellte, eine unklare Rechtslage - und auf Dienstleister, die dazu fähig sind, den gläsernen Mitarbeiter zu schaffen. Besonders Detekteien und Softwarefirmen bieten schnelle Hilfe im Spitzel-Dschungel. Und notfalls gibt es die Hilfsmittel an jeder Ecke für kleines Geld zu kaufen. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wurde offenbar im vergangenen Jahr in einem Wolfsburger Hotelzimmer mit Hilfe eines handelsüblichen Babyfons überwacht.

Unternehmen wie Protectcom haben das Bespitzeln zur Geschäftsgrundlage gemacht. Die Saarbrücker Firma vertreibt seit sieben Jahren Software, mit deren Hilfe jeder Computernutzer zum gläsernen User wird - inzwischen ist das Unternehmen in Deutschland Marktführer. "Unsere Produkte eignen sich für jeden, der wissen möchte, was alles am PC passiert - ausführlich bis zum letzten Tastenanschlag", verspricht die Firma auf ihrer Internetseite.

Das Programm Orvell Monitoring nimmt für 69,95 Euro in regelmäßigen Abständen den Inhalt des Bildschirms auf und speichert die Daten versteckt auf der Festplatte. Jeder Tastenanschlag kann mit dem Programm protokolliert werden. Eine weitere Schnüffel-Software aus dem Sortiment von Protectcom heißt SpectorSoft. Die wurde in Deutschland bereits 100.000 Mal verkauft - 90 Prozent der Käufer seien Unternehmen, sagt Firmenchef Carsten Rau. Das Geschäft boomt: "Wir verzeichnen jedes Jahr ein zweistelliges Umsatzwachstum", sagte Rau der Zeit.

Software von Protectcom ist auch dazu in der Lage, bei entsprechenden Tastenkombinationen Alarm zu schlagen, erklärt Datenschützerin Tangens vom Klub FoeBuD. Etwa dann, wenn ein Angestellter bei Google das Wörtchen "Sex" eintippt - oder den Begriff "Betriebsrat". Software wie Orwell und SpectorSoft wird laut Professor Wedde "eher von mittelständischen Unternehmen" genutzt. Sie komme vor allem in Firmen ohne Betriebsrat zum Einsatz - oder in Unternehmen, deren Betriebsrat das technische Wissen fehlt, um die Bandbreite der Möglichkeiten zu erkennen.

Unbequeme Mitarbeiter bespitzelt

In den meisten Fällen wird jedoch professionell gespitzelt - wie im Fall der Dresdner Bank. Der ehemalige Generalbevollmächtigte des Geldhauses, Manfred Schaudwet, hatte zwischen 1997 und 1999 einen Privatdetektiv engagiert, der herausfinden sollte, welcher Mitarbeiter zu welchen Journalisten Kontakt hielt. Das erinnert stark an den aktuellen Telekom-Skandal, bei dem die Firma network.deutschland aus Berlin aktiv war.

Im Jahr 2004 kam die SachsenLB ins Gerede. Dort wurde der Vorwurf laut, die Bank habe unbequeme Mitarbeiter - darunter auch ein Mitglied des damaligen Personalrates - von einem Privatdetektiv bespitzeln lassen.

1530 solcher Detekteien sind in Deutschland angemeldet, sagt ein Sprecher des Bundesverbands Deutscher Detektive (BDD). Einer von ihnen ist Paul Malberg aus Oberhausen. Malberg ist studierter Jurist und Rechtsanwalt und bekommt bis zu 80 Fälle im Jahr auf den Schreibtisch - auch von großen Unternehmen. Malberg erzählt, durch seine Arbeit sei aufgedeckt worden, dass ein Vorstandsmitglied eines Großkonzerns korrumpiert wurde. "Dieser Manager verließ anschließend einvernehmlich das Unternehmen."

Für seine Arbeit legt der Detektiv feste Maßstäbe an. "Es darf nur überwacht werden, wenn der konkrete Verdacht einer Straftat oder eines arbeitsrechtlich relevanten Pflichtenverstoßes besteht", sagt der Jurist. Bei etwa zehn Prozent seiner Aufträge ist dies nicht der Fall. Dann lehnt Malberg ab.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Auftraggeber, die bei Malberg oder anderen Detekteien abblitzen, andere Dienstleister finden. Detekivbüros, die es möglicherweise mit Recht und Gesetz nicht so genau nehmen. Davon gibt es eine ganze Menge. Denn der Beruf des Detektivs ist nicht geschützt - ein Gewerbeschein genügt, dann kann jeder "Detektiv" auf die eigene Visitenkarte schreiben. "Ich glaube, dass in unserer Branche viele schwarze Schafe existieren", sagt Jurist Malberg. "Viele machen den Job für das schnelle Geld." Nur etwas mehr als zehn Prozent der Detekteien sind Mitglied im Bundesverband, der hohe Anforderungen an seine Mitglieder stellt.

Und selbst diejenigen, die sich an Recht und Gesetz halten wollen, haben es nicht leicht. Die Debatte sei geprägt durch "juristische Graubereiche", sagt Professor Wedde. In vielen Fällen sei den Unternehmen selbst nicht klar, was eigentlich erlaubt sei. Auch Detektiv Malberg gibt zu, dass Fehler häufig auch "aus Unwissenheit" heraus entstehen.

Die Politik ziert sich, Licht ins Dunkel zu bringen. "Ein Datenschutzgesetz für Arbeitnehmer würde vieles leichter machen", sagt Experte Wedde. Doch das existiert in Deutschland nicht. Im Herbst 2002 hatte die rot-grüne Bundesregierung das Thema zwar im Koalitionsvertrag festgeschrieben. "Der Schutz der Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird erstmals in einem eigenen Gesetz verankert", heißt es dort. Doch passiert ist nichts. Die große Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Thema vorsorglich erst gar nicht in ihrem Koalitionsvertrag vorgesehen.

Drogenscreening bei Azubis

Vor allem für die Angestellten wird so ein Überblick über die Rechtslage erschwert. "Viele Arbeitnehmer kennen ihre Rechte gar nicht", klagt Datenschützerin Tangens. Und selbst diejenigen, die misstrauisch werden, trauen sich häufig nicht, den Mund aufzumachen - aus Angst, ihren Job zu verlieren.

Besonders Jugendliche sind gefährdet. Wer etwa eine Ausbildung beim Pharmakonzern Bayer beginnen möchte, wird zuvor aufgefordert, einen Urintest abzugeben. Drogenscreening heißt das im Konzernjargon. Damit will das Unternehmen prüfen, ob der Lehrling in spe möglicherweise Drogen wie Cannabis, Heroin oder Kokain konsumiert. Konzentrationsfähigkeit und ein gutes Reaktionsvermögen seien für die Arbeit bei Bayer erforderlich, sagt eine Konzernsprecherin. "Dies kann durch den Konsum von Drogen oder Medikamentenmissbrauch maßgeblich negativ beeinflusst werden."

Arbeitsrechtler Wedde ist von diesen Maßnahmen entsetzt. "Das ist absurd und greift in die Persönlichkeitsrechte ein", erklärt der Experte. Zwar werden die künftigen Lehrlinge nicht zu dem Urintest gezwungen. "Doch ein Azubi, dem ein Job bei Bayer winkt, wird so einen Test sicher nicht ablehnen", sagt Datenschützerin Tangens. Ähnlich klingt die Regelung bei Volkswagen. Auch dort empfiehlt man künftigen Azubis einen Urintest. Es gehe vor allem um die Sicherheit der Angestellten selbst, sagt ein VW-Sprecher. Weigere sich ein Bewerber, den Test durchzuführen, könne er in etlichen Bereichen nicht eingesetzt werden. Faktisch bedeutet das wohl, dass die Chancen auf einen Job drastisch sinken.

Ein Drogenscreening führt auch der Chemiekonzern BASF durch. Hier ist eine solche "Einstellungsuntersuchung" sogar Pflicht. Potentielle Mitarbeiter, die nicht teilnehmen wollen, können sich eine Anstellung gleich ganz abschminken.

Fehlende Transparenz

Die Konzerne begründen diese Untersuchungen mit Sicherheit am Arbeitsplatz, doch Rena Tangens vom FoeBuD-Klub sieht darin grundsätzlich ein Datenschutzproblem: So könnte ein Urintest auch eine mögliche Schwangerschaft ans Tageslicht bringen. Doch davon darf die Unternehmensführung per Gesetz nichts wissen. Beim Bayer-Konzern bleiben eigentlich alle medizinischen Daten der Bewerber in der Akte des Betriebsarztes. Details aus den Untersuchungen würden nicht bekanntgegeben, teilt das Unternehmen mit. Doch aus welchem Grund der Arzt einen Bewerber für geeignet hält oder nicht, muss er bei derartigen Untersuchungen nicht angeben.

Zwar beteuern Bayer, Volkswagen und BASF einstimmig, der Urin werde nicht auf Schwangerschaften getestet. Doch Rena Tangens ist das System nicht transparent genug. Für die Datenschützerin zeugen die Tests von einem grundsätzlichen Misstrauen einer Unternehmensleitung gegenüber den potentiellen Mitarbeitern. Auch aus diesem Grund hat der Datenschützerklub FoeBuD dem Bayer-Konzern - stellvertretend für viele Unternehmen, die ähnliche Tests durchführen - vor zwei Jahren seinen "BigBrother-Award" verliehen.

Nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg können Arbeitgeber berechtigt sein, Arbeitnehmer auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung zu verdachtsunabhängigen Suchtmittelkontrollen heranzuziehen. Die heimliche Überwachung von Mitarbeitern mit der Kamera ist jedoch verboten. Wird sie doch durchgeführt, muss die Maßnahme durch den Betriebsrat genehmigt werden. In jedem Fall braucht man einen konkreten Verdacht gegen einen Mitarbeiter, sagt Jurist Malberg. Arbeitsrechtler Wedde ist nicht überzeugt, dass die versteckte Videoüberwachung dann ein angemessenes Mittel ist: "Besteht dieser konkrete Verdacht tatsächlich, dann kann man gleich zur Polizei gehen."

Tobias Dorfer

Süddeutsche Zeitung, München, 28. Mai 2008
Original: http://www.sueddeutsche.de/,tt1l1/wirtschaft/artikel/406/176870/

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