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Interview mit Datenschutz-Verein

Freiheit schützt man nicht, indem man sie abschafft

"Die Videoüberwachung muss ausgeweitet werden". Seit den gescheiterten Anschlägen auf Regionalzüge wird diese Forderung auch von Politikern geäußert, die das bislang abgelehnt haben. Die Datenschützer von Foebud e.V. bleiben hingegen bei ihrer Haltung. Vorstand padeluun erläutert im tagesschau.de-Interview warum.

tagesschau.de: Ohne Videoüberwachung hätten wir den Täter aus dem Kölner Hauptbahnhof nicht festnehmen können", sagt Innenstaatsekretär Hanning. Der Verein Foebud lehnt trotzdem weiterhin jegliche Videoüberwachung ab. Warum?

padeluun: Wir sollten in der augenblicklichen Situation ein wenig von der Hysterie wegkommen, die von Politikern und Medien geschürt wird. Ich kenne keine wissenschaftliche Arbeit, in der Videoüberwachung positiv hervorgehoben wird. Videoüberwachung hat aber ganz viele negative Seiteneffekte, die man in einer freiheitlichen Gesellschaft auf gar keinen Fall zulassen sollte. "Eine Kamera stürzt sich nicht zwischen Opfer und Täter"

tagesschau.de: Wo sehen Sie die Probleme?

padeluun: Eine Überwachungskamera wird sich nicht mutig zwischen das Opfer und einen Angreifer stürzen. Videoüberwachung bedeutet also in keinem Fall mehr Sicherheit. Die Bilder vom Kölner Hauptbahnhof zeigen ja auch, dass jemand völlig ungeniert einen Koffer mit einer Bombe über einen Bahnhof bewegen kann. Videokameras bringen also nur mehr Überwachung - und die richtet sich gegen 80 Millionen völlig unschuldige Bundesbürger. Ich weiß als Bürger nie genau, schaut jemand zu, wird aufgezeichnet, welche Folgen kann das für mich haben. Das führt dazu, dass ich mein Verhalten in der Öffentlichkeit verändere. Ich glaube, dass wir das nicht haben wollen. Deshalb sollten wir uns gegen die Überwachung wehren und sie überall da entfernen, wo es sie derzeit schon gibt. Datenschutz als hohes Gut

tagesschau.de: Eines der Hauptargumente, das Überwachungs-Befürworter den Skeptikern immer entgegenhalten, ist, dass der unbescholtene Bürger ja vor den Kameras nichts zu verbergen habe. Welche Nachteile könnte der besagte "unbescholtene Bürger" durch die Kameraüberwachung im Alltag denn haben?

padeluun: Schon 1983 hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Menschen die nicht wissen, wann etwas über sie aufgezeichnet wird, das vielleicht gegen sie verwendet werden könnte, werden ihr Verhalten ändern. Sie entziehen sich einer Gesellschaft. Letztlich kann damit die Demokratie nicht mehr funktionieren. Deshalb gibt es so etwas wie das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Datenschutzrecht, das ein hohes Gut ist. Es geht nicht darum, dass der 'unbescholtene Bürger' Dinge zu verbergen hätte. Sondern es geht darum, dass wir unter permanenter Überwachung von Dritten, die wir selber gar nicht sehen können, unser Verhalten verändert - ob wir wollen oder nicht. Missbrauch nicht das eigentliche Problem

tagesschau.de: Gelegentlich werden Horror-Szenarien geschildert - etwa dass Kameras auf Arztpraxen gerichtet sein könnten und so nachvollzogen werden kann, wer wann welche Praxis aufsucht. Sind solche Szenarien realistisch?

padeluun: Ja, das könnte realistisch sein. Stellen Sie sich vor, diese Videokamera wird von einem Hausmeister bedient, der kennt wiederum Frau Müller und Frau Müller möchte gerne wissen, ob Herr Meier da häufig raus und rein geht - dann ist dieses Datenleck vorprogrammiert. Hier sehe ich allerdings nicht das große Problem. Dieses Vorgehen wäre Missbrauch und Missbrauch ist strafbar. Das Problem bleibt dieser regelmäßige Gebrauch, dieses scheinbar Legale. Das ist wesentlich gefährlicher für unser ganz normales Leben als ein einzelner Missbrauch.

tagesschau.de: Die Gefahr von Anschlägen ist aber nun ganz eindeutig da, das zeigen die Attentate von London und die gescheiterten Anschläge bei uns. Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um die Sicherheit zu verbessern?

padeluun: Wir können nicht unsere freiheitliche Gesellschaft schützen, indem wir sie abschaffen. Gegen Fanatiker, die Anschläge ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben machen, wird man mit Videoüberwachung nicht viel tun können. Wichtig wäre zum Beispiel eine gut ausgestattete Polizei. Sie hat derzeit zum Beispiel nicht mal vernünftige Funkgeräte. Es gab in letzter Zeit die Tendenz, bei Beamten zu sparen und in Kameras zu investieren. Was wir außerdem brauchen, ist Prävention. Das geht aber nicht durch Videoüberwachung, sondern durch vernünftige Gesetzgebung.

Holger Schwesinger

tagesschau.de, Hamburg, 21. August 2006
Original: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID5833430_REF1,00.html

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