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Wieviel Kontrolle braucht das Internet?

Nach den Amokläufen an Schulen Ende 2006 war er wieder vernehmbar: Der Ruf nach einer stärkeren Kontrolle des Internets. Denn dort kann man sich momentan noch fast alles besorgen, seien es Waffen oder Anleitungen zum Bombenbau. Während Internet-Experten mehr Filter im Netz fordern, werden Zweifel am Sinn neuer Kontrollen laut.

Sebastian B., der Amokläufer von Emsdetten, hatte keine Schwierigkeiten, sich zu bewaffnen. Einen historischen Vorderlader bestellte er als Volljähriger völlig legal online, die Anleitungen zur Herstellung des nötigen Schießpulvers fand er bei einem Chemie-Portal, dazu benötigte er noch einen Wegweiser zum Gießen eines Projektils - alles Handlungen, die einzeln nach deutschen Gesetzen nicht strafbar sind. Alleine 208.000 Anleitungen zum Bombenbauen sind derzeit in Deutschland online abrufbar, schätzt der Hamburger Internet-Experte Bert Weingarten.

"In Deutschland ist es viel zu einfach, über das Internet an Waffen und Anleitungen zum Bombenbau zu gelangen", sagt Weingarten. Im Gespräch mit tagesschau.de schildert er, dass auch genehmigungspflichtige Waffen wie Schreckschusspistolen oder Kleinkaliber problemlos über das Internet zu beziehen sind. Wer sich mit kriminellen Banden einlasse, vornehmlich aus dem osteuropäischen Raum, könne zudem auch an Waffen gelangen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen.

Anleitungen zum Bombenbau sind legal

Anders als beispielsweise in Italien oder Spanien ist es in Deutschland keineswegs verboten, eine Anleitung für den Bombenbau oder die Herstellung von Sprengstoff zu veröffentlichen. Strafbar wird dies erst, wenn zum Einsatz der Mittel für eine Straftat aufgerufen wird. Für Weingarten, der auch den Bund deutscher Kriminalbeamter zum Thema Internetsicherheit berät, ist das ein Skandal. "Im Internet kippt derzeit das Verhältnis von legalen zu kriminellen Inhalten", glaubt er.

Der Waffenexperte Wolfgang Dicke von der Gewerkschaft der Polizei sieht das Problem nach der Tat von Emsdetten extrem aufgebauscht. "Wenn der Waffenkauf so einfach wäre, warum war Sebastian B. dann - zum Glück - so hundsmiserabel bewaffnet?" Für das Internet gälten die gleichen Kriterien für den Waffenkauf wie im Laden oder zwischen Privatpersonen. Zwar sei der illegale Kauf auch von schweren Waffen möglich, aber für einen Schüler nahezu unmöglich. "Man muss sich schon fragen: Wer bestellt hier was mit welchen finanziellen Mitteln?", so der Kriminalbeamte. Rufe nach kompletter Internet-Filterung

Doch Weingartens Firma Panamp vertreibt Sicherheitssoftware und spezielle Internet-Filter, und seit Jahren macht sich der Unternehmer bei Politik und Medien für den Einsatz dieser Technik stark. "Wir haben als privatwirtschaftliches Unternehmen mehr Möglichkeiten zur Überwachung als die staatlichen Behörden", sagt er. Seine Firma beobachte die gefährlichsten Server, die Polizei indes dürfe dies gar nicht, "denn sie darf nicht verdachtsunabhängig recherchieren".

Er fordert deshalb den gewerblichen Einsatz von Internet-Filtern. Deutsche Fahnder hätten erst durch ihn davon erfahren, dass ein als extrem gefährlich eingestufter Server mit islamistischen Inhalten nach seiner Verbannung aus Deutschland wieder online gegangen sei - erneut bei einem deutschen Provider. Die hiesigen Behörden hätten selbst nach zwei Wochen noch nicht gemerkt, dass das Angebot, das Übersetzungen zur Unterstützung islamistischer Kämpfer anbot, aus Hürth bei Köln stamme. "Staatliche Stellen sind nicht in der Lage, die gefährlichsten Server und Systeme zu beobachten", so Weingartens Fazit.

Warnung vor Zensur

Er wünscht sich den Einsatz seiner Filter aller Server und Knotenpunkte im Web, die den Strom von Internet-Daten nach Deutschland hinein kontrollieren. Kinderpornografie, die Leugnung des Holocaust, Gewaltverherrlichung oder eben Bombenbauanleitungen - dies alles könne herausgefiltert und unzugänglich gemacht werden. In jeder Schule mit Internet-Zugang könne man momentan an kriminelle Inhalte gelangen, so Weingartens Klage. "Die derzeitige Anarchie im Internet ist in Ordnung für Menschen, die eine Medienerziehung genossen haben und damit umgehen können. Wir müssen aber medienunerfahrene Personen schützen", sagt er, und gesteht ein Problem ein: "Internet-Filterung kann durch entsprechende Administration zur Zensur werden."

Datenschützer: "Versäumnisse auf anderer Ebene"

Rena Tangens vom Bielefelder Datenschutzverein FoeBud sieht die Versäumnisse auf anderer Ebene und will von mehr Überwachung nichts wissen. "Wenn Jugendliche keinen Ausweg sehen und niemanden haben, an den sie sich wenden können, dann ist das vor allem ein gesellschaftliches Problem", sagt sie. Ereignisse wie das in Emsdetten, so Tangens, würden immer wieder für die Forderung nach mehr Kontrolle, Überwachung und Datenspeicherung instrumentalisiert.

GdP-Mann Dicke gesteht gegenüber tagesschau.de ein, die Polizei sei "schon bei den Themen Terrorismus und Kinderpornografie nicht in der Lage, das Internet zu beobachten". Die Suche nach Waffen erfordere Spezialisten, die waffentechnische und Internet-Kenntnisse mitbringen. Dies sei angesichts der dünnen Personaldecke nicht zu leisten. Ob sich die Suche aber überhaupt "im großen Stil lohnt, ist zweifelhaft", so Dicke. Große Erfolge werde man dabei nicht erzielen. Schlechtes Zeugnis für Jugendmedienschutz

Deutschlands Internet-Fahndern stellt Weingarten ein schlechtes Zeugnis aus. Die zuständige Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat seiner Ansicht nach versagt, nicht nur im Fall Emsdetten. Die eigens aufgebaute Einrichtung jugendschutz.net laufe Internet-Streife gegen extremistische Inhalte und verbeiße sich dabei vollständig in rechtsextreme Seiten. Jeder abgestellte Server mit Neonazi-Propaganda in den USA werde dabei als Erfolg begriffen, auch wenn er nach fünf Minuten unter anderem Namen wieder ans Netz gehe. Für Weingarten gibt es bei der KJM "Verständnisprobleme, wie das Internet funktioniert". "Übergabe findet im echten Leben statt"

Er will deshalb ein unabhängiges Gremium aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einrichten, das "Vorschläge einreichen kann, welche Inhalte gefiltert werden sollen, und dass eine Bundesstelle diese dann prüft". Tangens hingegen setzt sich für verstärkte Fahndung ein. Polizeibeamte hätten ihr in Internet-Schulungen versichert, dass sie sich als Ermittler sehen, nicht als Überwacher. Sie unterstützt die Forderung nach qualifizierten Fahndern und besseren Fahndungsmöglichkeiten: "Eine Steuerfahndung funktioniert ja auch besser mit mehr Steuerfahndern." Beim Waffenkauf und -verkauf müsse die Polizei dort ansetzen, wo Waffen produziert oder übergeben werden. "Die Waffen kann man sich ja nicht im Internet downloaden, die Übergabe findet im echten Leben statt", sagt Tangens.

Frank Zirpins

tagesschau.de, Hamburg, 06. Dezember 2006
Original: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6168028_REF_NAV_BAB,00.html

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