Von Arne Meyer, NDR, ARD-Hauptstadtstudio Berlin
"Die Verabschiedung des neuen Meldegesetzes war kein Glanzstück" - so hat sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck heute früh ausgedrückt. Und recht hat er. Die Umstände der Verabschiedung des Meldegesetzes Ende Juni waren peinlich und sind heute legendär.
Nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stimmte die schwarz-gelbe Mehrheit im Deutschen Bundestag den neuen Vorschriften für die Meldeämter und ihren Umgang mit Adressdaten zu. Was sie da wirklich beschlossen haben? Begriffen hat das ebenfalls eine Mehrheit der Parlamentarier nicht. Die anschließende parteiübergreifende Empörung über den Beschluss war teilweise ähnlich ahnungslos und deshalb scheinheilig. Denn dieses bundesweit einheitliche Meldegesetz hätte in manchen Bundesländern sogar einen besseren Schutz vor missbräuchlichem Adresshandel geboten.
Es ist trotzdem gut, dass der Bundesrat die Notbremse gezogen hat. Denn bei der Adresswirtschaft wäre die Freude bei einem "Ja" der Länder sicherlich groß gewesen. Hätten die Unternehmen doch unter bestimmten Umständen nahezu ungehindert Anschriften von Meldeämtern kaufen können, solange der Bürger nicht aktiv Widerspruch einlegt. Und wer macht sich schon die Mühe, bei der Behörde vorstellig zu werden? Auch wenn der Briefkasten mal wieder kapituliert, weil er die ganzen Broschüren nicht mehr schlucken kann? Richtig, fast niemand.
Viele Bundesbürger beteiligen sich stattdessen fleißig an Gewinnspielen, Verlosungen und Preisausschreiben. Sie servieren so ihre Daten bereitwillig auf dem Silbertablett. Natürlich empören sie sich dann über den florierenden Adresshandel. Am besten noch im Internet, im sozialen Netzwerk, das bereits die E-Mail-Adresse, das Geburtsdatum und die Einzelheiten zu den jeweiligen Hobbys gespeichert hat. Was kann vor diesem Hintergrund ein neues Melderecht bringen, über das Bundestag und Bundesrat jetzt im Vermittlungsausschuss verhandeln werden?
Wahrscheinlich wird dabei herauskommen, dass Ämter Adressen zu Werbezwecken etwa zukünftig nur dann weiterreichen dürfen, wenn der Bürger dem zugestimmt hat. Zweckgebunden. Danach muss ein Unternehmen die Daten wieder löschen. Das ist sicherlich ein gut gemeinter Versuch und ein Fortschritt, verglichen mit der Ursprungsfassung.
Das Problem aber ist: Die Büchse der Pandora ist schon vor Jahren geöffnet worden. Seitdem sind Millionen von Anschriften verfügbar, und sie werden weiter kursieren. Welche Behörde kann schon kontrollieren, ob bei der Versendung von den nächsten 150.0000 Werbeprospekten für jede einzelne Anschrift eine Einwilligung vorgelegen hat? Den Adresshandel werden neue Gesetze kaum einschränken können. Die Notbremse kommt zu spät. Die Realität ist längst weiter als die Politik.
Arne Meyer
tagesschau.de, Hamburg, 21. September 2012
Original: http://www.tagesschau.de/kommentar/meldegesetz128.html