Wer im Web unvorsichtig mit privaten Daten umgeht, kann leicht zum Opfer werden. Über das Phänomen Social-Networking und den Strip auf der Datenplattform.
In der noch pubertären Welt des Internets geht vieles durcheinander. Der digitale Spielplatz scheint unendlich groß. Er bietet Informationen für fast alles und jeden, aber auch über fast jeden. Neben dem üblichen Google-Material sind inzwischen in sogenannten Social-Networking-Plattformen detaillierte Informationen über Millionen Deutsche frei zugänglich. In der scheinbaren Anonymität des Weltnetzwerks lassen sich viele von den Plattformen und dem, was sie zu bieten haben, zum Beispiel bei der Kontaktpflege, begeistern. Der Nutzer wird zum Exhibitionisten. Er stellt aus, was er auszustellen hat.
Fast niemand denkt dabei jedoch über mögliche Folgen nach. Zum Beispiel bei der Jobsuche. Für einen Personalchef liegt es nahe, sich über künftige Mitarbeiter auch via Internet, speziell über Social-Networking-Plattformen, zu informieren.
Allein der wohl größte deutsche Anbieter zur Pflege sozialer Netze für Geschäftskontakte Xing, vormals OpenBC, hat seit dem Start im Jahr 2003 rund 1,7 Millionen Mitglieder aus der ganzen Welt gewinnen können, die meisten davon aus Deutschland. Die Teilnehmer, so ist es gedacht, können sich hier ins rechte Licht setzen, sich Arbeitgebern oder Kunden präsentieren und Kontakte pflegen. Die Plattform ist dafür gemacht, sich aalglatt zu zeigen, glatt, wie die Wirtschaft sich das wünscht. Ganze Lebensläufe gehen online - als Bewerbung ohne Ziel. Jeder kann sie lesen. Hier wird ein Arbeitgeber wenig Negatives finden.
In privater Atmosphäre
Auf vergleichbaren Seiten im Web sieht das jedoch anders aus, zum Beispiel im Studiverzeichnis (StudiVZ). Das noch junge Netzwerk für Studenten hat innerhalb von etwas mehr als einem Jahr knapp zwei Millionen Nutzer erreicht. Am digitalen WG-Küchentisch, unter Freunden, halten viele Studenten in vermeintlich privater Atmosphäre mit ihren Meinungen und Einstellungen nicht hinterm Berg. Die Leute lästern, teilen aus und sprechen über ihre liebsten Hobbys, zu denen auch mal das Saufen gehören kann.
So findet sich beispielsweise im Gästebuch eines nordrheinwestfälischen Studiengebühren-Befürworters der Eintrag eines Gegners aus Stuttgart: "... ahh nee ... noch so n ... wie sagt man?? Kapitalistenschwein oder lieber Vollidiot?? Oder vllt Verräter ..." Weiter unten kommentiert ein anderer Student aus Göttingen: "scheiß burschi!" Andere wiederum inszenieren sich als Hautevolee und sind Mitglied in Netzwerkgruppen wie "Veuve Clicquot - Eure Armut kotzt uns an".
Das alles für jeden einsehbar. Man braucht sich nur selbst mit einer fantasierten Identität anzumelden, und schon hat man Zugriff auf die meisten der Profile. Lediglich ein Zehntel der Seiten - so die Betreiber - sind von den Nutzern so eingestellt, dass ausschließlich Freunde Zugang haben. Aber selbst mit der entsprechenden Konfiguration sind sowohl die Fotos als auch die Kontakte der Personen einsehbar. Informationen, die ein Teilprofil ergeben. Gegen eine Verlinkung mit Bildern kann man sich nicht wehren. Wie unangenehm, wenn da ein vermeintlicher Freund ein Bild online stellt, das einen auf einer Kifferparty vor fünf Jahren zeigt.
Virtuelle Jugendsünden
Was passiert, wenn der erhoffte Arbeitgeber auf solche Seiten stößt? Bevor man ihn hat, ist der Job schon wieder weg. Pech gehabt. Schnell wird der Online-Spaß zum Karrierekiller. "Wir nutzen Netzwerk-Plattformen häufig, vor allem Xing, aber zum Teil auch Studiverzeichnis", sagt beispielsweise Ute Nauheimer, Human Resources Managerin von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Man verwende diese aber vor allem zu Recherchezwecken im Vorhinein, um passende Mitarbeiter im Internet zu finden. Negative Folgen habe das natürlich noch nie für einen Bewerber gehabt.
Böses Erwachen in 15 Jahren
Dass diese Form der Überprüfung in Zukunft normal sein könnte, halten Datenschützer für gut möglich. "Ich bin mir sicher, dass sich in 10 bis 15 Jahren viele Leute darüber ärgern werden, was sie im Überschwang ihrer jugendlichen Freude im Internet getrieben haben", sagt padeluun, Künstler und Vorstandsmitglied des foebud e. V., eines Vereins, der sich "eine lebenswerte digitale Welt" zum Ziel gesetzt hat. "Die Schwierigkeit ist hier, dass man nicht unbedingt mitbekommt, welche Nachteile entstehen."
Aber auch Chefs, so warnen Datenschützer, sollten sich nicht auf Informationen aus dem Netz verlassen. "Man darf diese Plattformen nicht so ernst nehmen, auch nicht für Personalentscheidungen", sagt etwa Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein. Denn wie anfällig die Web-2.0-Angebote für Fälschungen sind, zeigt der Fall einer jungen Frau, die einfach von einer anderen Person mit echten Fotos und Handynummer bei Studiverzeichnis angemeldet wurde. Trotz Beschwerde stand das falsche Profil tagelang online und für jeden einsehbar.
Sogar einer der Gründer des Verzeichnisses, Ehssan Dariani, wurde jüngst selbst von einem Doppelgänger heimgesucht. Im Gästebuch seiner Profilseite äußerte sich eine Person unter seinem Namen und mit seinem Foto ausgerechnet zum Thema Persönlichkeitsrechte. Hier war der Fake natürlich schnell gelöscht.
Auch im größeren Rahmen können die verfügbaren Daten unangenehme Auswirkungen haben. Vor einigen Wochen gab es einen Hacker-Angriff auf StudiVZ. Die Betreiber zwangen anschließend alle Mitglieder, sich zur Sicherheit neue Passwörter zuzulegen. Wie viele Daten tatsächlich entwendet wurden, ist nicht bekannt. "Diese Plattformen schaffen die Voraussetzung für eine neue Generation von Spam-E-Mails. Wer es schafft, E-Mail-Adressen mit ein paar persönlichen Daten zu kombinieren, kann die Werbemails in großer Masse personalisieren", erklärt Jörg Schwenk vom Lehrstuhl für Netz- und Datensicherheit der Ruhr-Universität Bochum.
Andere Varianten des Datenmissbrauchs sind aus den USA bekannt. Dort kommt es immer häufiger zu Fällen von Identitätsdiebstahl, die teure Folgen haben. Kriminelle bestellen unter falscher Adresse Kreditkarten und fischen sie aus dem Briefkasten. "Man kann die über Netzwerkplattformen erhältliche Daten nutzen, um weitere Diebstähle vorzubereiten", so Schwenk. Er selbst würde sich nicht bei einer solchen Plattform anmelden.
Aber Datenschützer befürchten nicht nur den Missbrauch durch Dritte, auch die Anbieter selbst stehen im Verdacht des professionellen Voyeurismus. "Es gehört zu einer aufgeklärten Gesellschaft, dass man weiß, dass auf der anderen Seite des Bildschirms Leute sitzen, die Geld verdienen wollen", sagt padeluun. Die Betreiber dagegen beteuern Seriosität. "Wir werden keine personenbezogenen Daten an Dritte ohne Einverständnis der Nutzer weiterleiten oder zu Werbezwecken missbrauchen. Das ist unsere Policy und steht auch so in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen", versichert Studiverzeichnis-Pressesprecher Julian Artopé, "unser wichtigstes Kapital ist das Vertrauen unserer Nutzer. Wenn wir das verspielen, können wir unsere Plattform schließen." Auch Lars Hinrichs, Chef des zum Teil kostenpflichtigen Business-Netzwerks Xing, beteuert Seriosität: "Wir haben unseren Mitgliedern das Versprechen gegeben, dass wir ihre Daten nicht weitergeben. Das ist auch der Grund, warum wir keine Werbung haben. Wir wollen das nicht vermischen."
Wie glaubhaft sind solche Aussagen? Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, steht dem Geschäftsmodell eher misstrauisch gegenüber: "Es geht da auch um kommerziell verwertbare Daten. Wenn man sich beispielsweise die Allgemeinen Geschäftsbedingungen anschaut, sind da viele nicht so seriös. Da gibt es Klauseln wie: Wir behalten uns eine Änderung der Nutzungsbedingungen vor. Man kauft also quasi eine Katze im Sack."
Der Künstler padeluun rät allen potenziellen Klienten solcher Plattformen, sich nicht anzumelden, und allen, die bereits Mitglied sind, ihre Daten gänzlich zu entfernen. Auch eine Reform der Gesetzgebung hält der Künstler für dringend notwendig. "Das Datenschutzgesetz kommt aus der Zeit der Großrechenzentren. Es ist zwar eines der besten der Welt, aber trotzdem nicht mehr ausreichend."
Auch Peter Schaar erkennt die Gefahr, die von solchen Netzwerkplattformen ausgeht, die Bundesregierung nimmt er hier jedoch nicht in die Pflicht. "Wie ein Schutz durch den Gesetzgeber da aussehen könnte, kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Der Einzelne entscheidet selbst, ob er seine Daten preisgibt. Wir Datenschützer sind ja schließlich nicht die Gouvernanten der Nutzer." Aufklärungsarbeit, zum Beispiel in den Schulen, hält er jedoch für wichtig.
Sehnsucht nach Bedeutung
Die ist auch nötig. Seit Februar 2007 gibt es von den StudiVZ-Betreibern die Plattform für den Schüler. Sich selbst anzumelden ist hier allerdings nicht mehr möglich. Mitglied werden kann man nur mit Einladung. Die erhält man entweder von einem älteren Studenten oder von einem bereits angemeldeten Mitglied. Hier zielen die Betreiber auf das soziale Prestige, auf die Anziehungskraft des Exklusiven. "In den Bereichen geht es darum, dass man junge Leute in ihrer Sehnsucht anspricht, eine gewisse Bedeutung erlangen zu können", sagt padeluun über diese Form des Social-Networking. Die Betreiber streiten das ab und begründen die geschlossene Form mit Jugendschutz. "Wir machen das, damit sich da nicht Leute tummeln, die da nicht hingehören", so Konstantin Urban, Leiter von Holtzbrinck-Networks, die jüngst die Studiverzeichnis Limited für rund 85 Millionen Euro gekauft hat. Komisch nur, dass die Plattform dann irgendwann doch geöffnet werden soll.
Im digitalen Doppelleben
Das Parallelleben im Internet hat auch Einfluss auf die sozialen Beziehungen der Teilnehmer. In den USA spielt heute schon das Networking eine sehr große Rolle unter Schülern und Studenten. Wer nicht Mitglied ist bei facebook.com, dem amerikanischen Vorbild des deutschen Studentennetzwerks, hat schlechte Karten in der High-School-Welt. Verabredungen werden online getroffen, Freundschaften im Netz besiegelt. Wer auf der Plattform nicht mittanzt, verliert den Anschluss oder findet ihn erst gar nicht.
Orwells Großer Bruder kann sich heute entspannt zurücklehnen, er wird ganz freiwillig beliefert. "Der gläserne Mensch entsteht nicht, der ist bereits da", sagt padeluun. Datenschützer Peter Schaar will sich in Zukunft verstärkt mit der Thematik beschäftigen. Bis das passiert, spielen die jungen Internetnutzer weiter, präsentieren sich auf dem Plateau. Man zeigt sich und hat Spaß.
Robert Ackermann
tageszeitung, Berlin, 30. März 2007
Original: http://www.taz.de/index.php?id=archiv&dig=2007/03/30/a0138