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Den Mut nicht verlieren

Am Sonnabend wird in Berlin für Datenschutz und gegen Überwachung demonstriert. Nina Eschke vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung über den Kampf gegen die Sammelwut staatlicher Behörden.

taz.de: Frau Eschke, am Sonnabend findet in Berlin die bereits vierte Demo gegen Überwachung und Vorratsdatenspeicherung unter dem Motto "Freiheit statt Angst" statt. Wie viele Menschen erwarten Sie?

Nina Eschke: Das ist natürlich schwer vorherzusagen. Aber wir hoffen, dass es mehr als im letzten Jahr werden - und das waren mehrere Zehntausend.

"Freiheit statt Angst" ist ein Motto, dem sicher jeder bedenkenlos zustimmen kann. Was sind Ihre konkreten Ziele?

Wir fordern den Abbau und die Evaluierung der zahlreichen Überwachungsmaßnahmen und -anstrengungen, die von staatlicher und wirtschaftlicher Seite in den letzten Jahren aufgebaut wurden und immer noch weiter vorangetrieben werden.

Wir treten ein für Bewahrung des Wesens und der Bedeutung von Grund- und Bürgerrechten seitens des Staates und für eine wirksame Regulierung der Wirtschaft hinsichtlich der Erfassung und des Umgangs mit sensiblen Daten, Ein Beispiel wäre ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, auf das wir schon jahrzehntelang warten.

Ihr Bündnis ist naturgemäß sehr Internet affin. Sind da klassische Demos im realen Leben noch zeitgemäße Instrumente?

Zunächst einmal würde ich das mit dem "Internet affin" nicht so stehen lassen wollen. Die Zeiten, in denen nur wenige Spezialisten im Internet unterwegs sind und darüber kommunizieren sind längst vorbei. Das Netz ist ein potentielles Medium für fast alle in unserer Gesellschaft geworden.

Als Privacy-Aktivist aus der Anonymität des Netzes heraus und auf die Straße zu gehen, Gesicht zu zeigen und seine Meinung sachlich und klar auszudrücken, halte ich für eine unveränderlich grundlegende Art und Weise, seine Freiheit zu nutzen und durch sein Eintreten zu bewahren.

Und außerdem: Es macht einfach auch Spaß, sich mit vielen anderen Menschen zusammenzutun. Die Begegnung auf der Straße ist ganz wichtig, um als Einzelner nicht den Mut und die Hoffnung auf Veränderungen zu verlieren.

Noch scheint der Datenschutz kein echtes Mainstream-Wahlkampfthema zu sein. die großen Parteien setzen eher auf das Gegenteil und proben den starken Staat. Wird sich das in den nächsten Jahren ändern?

Ohne jeden Zweifel. Die Bedeutung von Datenschutz und der Entwicklung eines gesunden kritischen Umgangs mit seinen eigenen Daten wird in Zukunft noch sehr stark ins Rampenlicht geraten - alleine durch die noch ausstehenden Aufdeckungen von Datenskandalen, deren Ausmaß wir bislang nur erahnen können.

Es wird für die Zukunft wichtig sein, dass wir erkennen, dass nur nicht erhobene Daten wirklich sichere Daten sind. Und das müssen meiner Meinung nach vor allem sehr viele Leute in politischer Verantwortung noch begreifen, damit nicht weiter, wie heute schon praktiziert, unschuldige Bürger ins Verdächtigungsraster staatlicher Behörden geraten.

Es scheint ein Vermittlungsdilemma zu geben. Während die alte Generation nach dem starken Staat ruft, der sie vor Terror und anderem Ungemach schützt, geht die junge Generation etwa in sozialen Netzwerken erstaunlich sorglos mit ihrer Privatsphäre um.

So einfach ist das wohl nicht. Wenn Sie mit Menschen sprechen, die unter der Diktatur der DDR zu leiden hatten, dann sind es eher die Älteren unter ihnen, die unsere Forderungen anerkennen und unterstützen. Das Bewusstsein der Jüngeren zu schärfen, ist eine wichtige Aufgabe für jetzt und später.

Den arglosen Umgang mit persönlichen und sensiblen Daten gibt es wohl bei jungen wie bei älteren Menschen gleichermaßen. Andererseits ermöglicht gerade die Vernetzung über das Internet doch auch viele Chancen in der Kommunikation über alle Alters- und Generationsgrenzen hinweg.

Mit der "Zensursula"-Debatte um staatliche Netzsperren gelang es der Bewegung, mit ihren Anliegen durchaus differenziert in die Medien zu kommen - auch aufgrund der höchst erfolgreichen Online-Petition. Macht sich da nicht Ernüchterung bei den Aktivisten breit, dass man seine eigentlichen politischen Ziele nicht erreicht hat?

Mit der Ansicht an die von uns als problematisch bewerteten Gesetzesvorhaben heranzugehen, dass sich diese innerhalb kürzester Zeit und dann auch noch vollständig nach eigenen Wünschen verändern lassen - das wäre wohl naiv.

Doch schon in letzter Zeit haben engagierte Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen und Netzaktivisten und Netzaktivistinnen - wenn auch nur in geringem Maße - etwas bewegt und das macht manchen Menschen Mut und hilft beim "Durchhalten".

Wichtig ist aber, dass "wir" genauso wie unsere Ansprechpartner in der Lage und bereit sind, sachlich und ernsthaft über Probleme und Lösungen diskutieren zu können. Wenn allerdings - wie beim Thema Internetsperren - die Politiker wider Sachverstand und Vernunft Gesetzesvorhaben durchdrücken, entsteht Resignation. Und, zugegeben, es gibt auch viele Leute, die unter dieser Resignation leiden - und eventuell aus dieser Verzweiflung zur Demonstration kommen werden.

Wo sind sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und die politische Piratenpartei ähnlich? Und war es eine sinnvolle Idee, solche Ziele in eine Partei zu gießen, der nun einige vorwerfen, sie mache unideologische Klientelpolitik?

Die Ähnlichkeiten bestehen darin, dass einige Leute aus der Piratenpartei auch im AK Vorrat mitarbeiten. Es gibt allerdings auch sehr viele Leute aus dem AK, die in anderen Parteien aktiv sind oder aus ganz anderen Zusammenhängen stammen. Es ist eben ein "bunter Haufen" mit allen Vor- und Nachteilen. Zu den Entstehungsgründen der Piratenpartei müssen Sie diese allerdings selber befragen. Der AK Vorrat ist parteineutral. Uns geht es nur um Inhalte.

Hat die Piratenpartei bei der Bundestagswahl eine Chance?

Das ist genauso schwer zu beurteilen wie die Frage nach der Anzahl der Demonstranten am Samstag.

BEN SCHWAN

taz NRW, 10. September 2009
Original: http://www.taz.de/1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/%5Cden-mut-nicht-verlieren%5C/

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