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Privacy ist not a Crime

Erste Demonstration gegen den

Groß war am Samstagmittag das Gedränge am Berliner Alexanderplatz. Neben Fußballtouristen und Wochenendeinkäufern hatten sich dort auch mehr als 200 Teilnehmer einer Demonstration versammelt, für die vornehmlich im Internet geworben wurde. "Freiheit statt Sicherheitswahn" und "Mein Leben gehört nicht in Eure Datenbank" zeigten schon an, dass der Widerstand gegen Kontrolle und Überwachung das Thema der Demonstration ist. Einige Passanten dachten, dass es hier vor allem um Proteste gegen die verschärften Sicherheitsbestimmungen während der Fußballweltmeisterschaft ging. Doch damit lagen sie falsch.

Die Demonstration wurde federführend vom Arbeitskreis Vorratsspeicherung gemeinsam mit weiteren Initiativen vorbereitet. Der Begriff Vorratsspeicherung ist sicher nur Insidern bekannt. Dabei handelt es sich aber um eine Verordnung, von der Millionen Menschen betroffen sind: Die geplante EU-Richtlinie sieht eine Vorratsspeicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten vor. Jede Benutzung eines Telefons, Handys und Internets soll künftig protokolliert werden, damit Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste darauf jederzeit zugreifen können.

Die Veranstalter verwiesen auf den Abhörskandal in den USA. In den letzten Wochen war bekannt geworden, dass der Geheimdienst NSA die Telefon-Verbindungsdaten von ca. 200 Millionen US-Bürgern gespeichert hatte. Aber auch in Deutschland waren im letzten Jahr 35.015 Telefonüberwachungen zu verzeichnen. Das war ein absoluter Höchststand. Dabei sind die Abhöraktionen durch die Geheimdienste, die keiner richterlichen Genehmigung bedürfen, hier gar nicht mitgerechnet, weil sie in keiner Statistik auftauchen.

Mehrere Redner warnten vor einer Sicherheitshysterie, mit der die Überwachungen immer wieder gerechtfertigt werden. Eine Aktivistin der Initiative STOP1984 warnte vor dem beliebten Vorurteil, dass nur wer was zu verbergen habe, sich gegen Überwachung wende: "Schämt Euch für Sprüche wie 'Ich habe nichts zu verbergen' Habt was zu verbergen und seid stolz darauf," rief sie unter Applaus. Mehrere Demonstrationsteilnehmer wollten diese Erkenntnis gleich umsetzten und besorgten sich T-Shirts mit der Aufschrift "Privacy ist not a Crime"

Die Demonstranten richteten an die Bundestagsabgeordneten die konkrete Forderung, am kommenden Dienstag im Parlament gegen die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung zu stimmen und für eine Klage dagegen zu stimmen. Neben diesen konkreten Forderungen wandten sich die Demonstranten gegen die Abgleichung von KFZ-Daten und den Stop der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Auch der Einsatz von Biometrie und RFID-Chips soll gestoppt werden.

Das sind sicher alles sehr vernünftige Forderungen, aber 200 bis 250 Interessierte aus der Internetgemeinde, wo jeder jeden kennt, werden sie nicht durchsetzen können. Da stellt sich die Frage, warum die Veranstalter nicht von Anfang an einen möglichst breiten Kreis von Betroffenen ansprachen. Da wären die gläsernen Hartz IV-Empfänger genauso zu nennen wie die Fußfallfans, die für ein Ticket oder den Stadiozutritt eine totale Sicherheitsüberprüfung inklusive Schnüffelei im Slip über sich ergehen lassen müssen. Vor allem aber müssen die Internet-Aktivisten ihre Propaganda allgemeinverständlicher gestalten, auf dem Niveau der Masse, denn wenn sie von "Big Brother" reden, denken heute nur noch wenige an Orwells 1984, viele dagegen an den Container voller Narren im Fernsehen.

Von Biometrie und RFID-Chips werden nur Insider reden, von Überwachung bei Handys, Telefonen und Internet aber Millionen. Wenn sie sich gegen Überwachung wehren oder sich zumindest zunächst der Probleme bewusst werden, könnte tatsächlich ein gewisser Druck auf die Verantwortlichen entstehen.

Peter Nowak

telepolis, Hannover, 18. Juni 2006
Original: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22914/1.html

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