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Experten sprechen sich einmütig gegen Stopp-Schilder aus

Debatte um Netzsperren beginnt im Bundestag erneut

Der Bundestag wird sich erneut mit den umstrittenen Internetsperren gegen Kinderpornographie beschäftigen müssen. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP sieht vor, die Sperren ein Jahr lang nicht anzuwenden und dafür zur prüfen, ob Löschen eine bessere Methode ist. Das Jahr allerdings ist vorbei, und so rückt die Diskussion um die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet wieder in den Blickpunkt. Den Auftakt macht dabei der Unterausschuss Neue Medien mit einer Expertenanhörung.

Schon zu Beginn der Sitzung kommt Unmut auf. Eigentlich war eine Live-Übertragung der Ausschusssitzung im Internet geplant. Doch wenige Minuten vor deren Beginn dann die schlechte Nachricht von der Verwaltung: übertragen wird nicht live, sondern um 90 Minuten zeitverzögert. Während der Vorsitzende Sebastian Blumenthal (FDP) dies scharf kritisiert und beteuert, dass es sich hierbei nicht um eine politische Entscheidung handelt, greift sein Parteikollege Jimmy Schulz zur Selbsthilfe und stellt selbst einen Stream bereit. Es wird das einzige Mal sein, dass bei den Ausschussmitgliedern während dieser Sitzung Unmut aufkommt. Im Vergleich zur aufgeheizten Stimmung vor der Bundestagswahl hat sich der Ton in der Diskussion versachlicht.

Mit bemerkenswerter Einmütigkeit sprachen sich denn auch die geladenen Experten gegen den Einsatz von Internetsperren aus. Lediglich BKA-Präsident Jörg Ziercke, der als Vertreter der zuständigen Strafverfolgungsbehörde nicht am Expertentisch, sondern neben dem Ausschussvorsitzenden Platz nahm, setzte sich vehement für die Einführung von Sperren ein. Zwar sei bei im Inland gehosteten kinderpornographischen Websites eine Löschung innerhalb weniger Stunden möglich, allgemein sehe er aber keinen Trend zum Positiven. Seit Januar wurden dem BKA nach Angabe Zierckes 1.407 Seiten mit entsprechenden Inhalten gemeldet. Der weit überwiegende Teil befände sich dabei mit 48 Prozent in den USA, es folgen Russland mit 24 Prozent und die Niederlande mit neun Prozent.

Während die Experten mit Ziercke in dieser Aufstellung noch übereinstimmen, herrschte bei der Frage, wie erfolgreich Löschungen dieser Inhalte durchgesetzt werden können, Uneinigkeit. Ziercke legte dem Ausschuss eine Tabelle vor, nach der 625 der gemeldeten Seiten und damit 44 Prozent nach einer Woche noch verfügbar seien. Während das Bundeskriminalamt die Werte noch nach einzelnen Ländern aufschlüsselt, gibt die Tabelle jedoch keine Auskunft darüber, wie die Entwicklung im weiteren Zeitverlauf aussieht. Zudem verzichtet das BKA weitestgehend auf eine tägliche Überprüfung der erzielten Ergebnisse, lediglich im März und August prüfte die Behörde laut ihrer schriftlichen Stellungnahme werktäglich, ob die beanstandeten Internetseiten noch online waren.

Den Gegnern der Internetsperren, die bei der Entfernung von kinderpornographischen Inhalten auch bei ausländischen Webhostern bessere Erfolge erzielen, warf Ziercke indirekt vor, mit falschen Zahlen zu arbeiten. Diese sollten sich einmal fragen, ob ihre Zahlen real sind, so der BKA-Chef.

Oliver Süme vom Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) widersprach Ziercke. Sein Verband habe mit im Ausland gehosteten Angeboten völlig andere Erfahrungen gemacht. Nach seinen Angaben sind knapp 80 Prozent der gemeldeten Seiten innerhalb von zwei Wochen offline, nach drei Wochen seien sogar fast 100 Prozent gelöscht. Dass es bei Servern im Ausland manchmal etwas länger dauert, erklärt Süme mit unterschiedlichen Vorgehensweisen vor Ort. Teilweise würde nur eine Meldung an die Polizei gehen, so dass die weitere Bearbeitung etwas "hängt". Allerdings prüfe Eco werktäglich den Erfolg von Meldungen und hake gegebenenfalls in kurzen Abständen immer wieder nach. Diese Methode hat sich dem Eco zufolge bewährt. Die Finanzindustrie, merkte Süme an, hake bei Phishing-Sites sogar stündlich nach, weil sie ein finanzielles Interesse an der Löschung habe – dies sollte man bei Kinderpornographie auch machen.

Mehr Hartnäckigkeit wünscht sich auch Friedemann Schindler von Jugendschutz.net. Wenn statt zu sperren, gelöscht werden solle, dann habe dies jedoch auch Konsequenzen beim Personalbedarf. Allerdings würden die Mitarbeiter von Jugendschutz.net den Kontakt mit den kinderpornographischen Materialien nicht lange aushalten. Er wolle daher auch gar nicht, dass Mitarbeiter dauerhaft in diesem Bereich arbeiteten, so Schindler. Doch offenbar gibt es gerade auch beim Bundeskriminalamt bei weitem nicht ausreichend Personal. Laut dem Innenministerium gibt es dort derzeit nur 6,3 "Vollzeitäquivalente" für den "Löschschwerpunkt". Auch dies könnte ein Grund für die schlechten Zahlen des Bundeskriminalamtes sein, immerhin musste auch Ziercke einräumen, dass die Zusammenarbeit mit dem Ausland noch verbesserungswürdig sei.

Auf breiten Widerspruch stieß Ziercke auch mit seiner Aussage, es gebe einen Markt für Kinderpornographie im Netz. Unter anderem Alvar Freude verwies auf eine Studie der European Financial Coalition, wonach von über 14.500 untersuchten Webseiten mit einschlägigem Inhalt lediglich vier kommerzielle Kinderpornographie-Angebote enthielten. Ziercke regte unter Verweis auf das "Geschäft" mit der Kinderpornographie an, das Bezahlsystem im Internet verstärkt unter die Lupe zu nehmen und erwähnte in diesem Zusammenhang insbesondere Kreditkarten. Selbst wenn man argumentiere, dass nur ein kleiner Bruchteil der Angebote kommerziell seien, könne man nicht auf die Aufklärung dieser Straftaten verzichten, so Ziercke.

Den Befürwortern des Löschansatzes warf der BKA-Präsident Augenwischerei vor: "Sie löschen überhaupt nichts im Internet, das taucht an anderen Stellen wieder auf." "Das gleiche könnte man auch über Sperren sagen", konterte Süme. Auf den Punkt bringt es Rechtsanwalt Thomas Stadler vom FoeBud in seiner schriftlichen Stellungnahme. Der Vorwurf des BKA-Chefs treffe auf "gesperrte" Inhalte in noch stärkerem Maße zu, da diese parallel über andere Domains zusätzlich verfügbar gemacht werden könnten. Stadler sprach sich für eine völkerrechtliche Regelung aus, die die Staaten zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet verpflichten soll.

Das eigentliche Problem ist jedoch nicht die Dokumentation des Missbrauchs im Internet, sondern der Missbrauch selbst. Entsprechend sprach sich unter anderem die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) vor allem für die therapeutische Behandlung Pädophiler aus, um die Zahl der Missbrauchsfälle zu senken. Nur so sei eine nachhaltige Verbesserung der Problematik zu erreichen. Eine Strafverfolgung sei durch Sperren oder Löschen ebenfalls nicht möglich. Diese könne nur durch Ermittlung des Täters erfolgen.

Nach dem Unterausschuss Neue Medien wird sich auch der federführende Rechtsausschuss des Bundestages am 10. November mit dem Thema Netzsperren beschäftigen.

Silvio Duwe

telepolis, Hannover, 26. Oktober 2010
Original: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33549/1.html

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