Auf der Tagung Informatik und Rüstung, die am Wochenende in Berlin stattfand, ging man der schon häufiger gestellten Frage nach, welchen Anteil die militärische Forschung bei der Entwicklung der Informationstechnologien und der Computerentwicklung hatte. Für Joseph Weizenbaum, der seit kurzem in Berlin lebt, ist die Antwort klar. Der Computer sei ein Kind des Krieges. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe zunächst niemand mehr an eine sinnvolle Weiterentwicklung geglaubt. Doch mit dem Korea-Krieg begann ein neuer Aufschwung. Das Pentagon vergab großzügige Aufträge, die meist zivil getarnt waren. Als junger Mathematiker des Massachusetts Institute of Technology (MIT) war Weizenbaum selber an solchen Arbeiten beteiligt. Dem 83-Jährigen geht der Ruf als Häretiker im Tempel der Hightech-Gläubigen voraus. Entsprechend gut war die Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend besucht (siehe auch: Das unsichere Internet als Folge miserabler Militärtechnik).
Am Samstag war die Zahl der Interessierten deutlich geschrumpft. In den Vorträgen wurde über zivile Überwachungstechnologien, Sicherheitsforschung, die Entstehung ziviler Gegenöffentlichkeit und die Verantwortung der Informatiker debattiert. Der Medienwissenschafter Friedrich Kittler und der Geheimdienstforscher Erich Schmidt-Eenboom stellten die Frage, ob man in den letzten Jahren nicht von einer Abkehr des technologischen Krieges sprechen kann. Als Beispiel wurde die Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah genannt. Während Israel die modernsten Überwachungstechnologien zur Verfügung habe, würde die Hisbollah auf ein Netzwerk von Informanten zurückgreifen, die ohne technologische Hilfsmittel Nachrichten weitergegeben würden. Kittler ergänzte, dass auch die afghanischen Taliban und die irakischen Kämpfer gegen die USA auf archaische Informationsmittel zurückgreifen würden, die von der modernen Technologie oft nicht geortet werden können. Er sprach in diesem Zusammenhang von der dunklen Seite der Technologie. Liegt demnach der Erfolg dieser Bewegungen vor allem darin, dass sie mit ihrer altmodischen Kriegsführung von der modernen Technologie gar nicht wahrgenommen werden? Oder ist nicht andererseits das Bild von den mit archaischen Methoden operierenden Gotteskriegern selber zu hinterfragen? Diese in der Runde aufgeworfenen Fragen konnte nicht geklärt werden, allerdings scheint die Hisbollah nicht so archaisch zu sein, immerhin betrieb sie ihren Fernsehsender Al-Manar trotz Bombardierung weiter, konnte offensichtlich den Funkverkehr des israelischen Militärs abhören und war mit modernsten Panzerabwehrwaffen ausgerüstet.
Das Abschlusspodium widmete sich dem zweiten zentralen Thema des Kongresses, dem Abbau der Bürgerrechte im Zeichen des Sicherheitsdiskurses. Die Direktorin des Washingtoner Electronic Privacy Information Center (EPIC), Melissa Ngo, sprach über die wachsende Einschränkung der Bürgerrechte in den USA nach dem 11.September. Ngo machte auch darauf aufmerksam, dass vor allem in der jungen Generation im Zeitalter von Webcams und der Offenbarung der privatesten Geheimnisse im Internet die Privatsphäre an Bedeutung verloren habe. Auch Frank Rieger, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs (CCC), sieht den Kampf um die Bürgerrechte weitgehend verloren. Gleichzeitig plädiert er für eine Radikalisierung der Gegenbewegung, die das Image der Datenschützer ablegen müsse. Stattdessen sollte durch Anwendung von Verschlüsselungsprogrammen verhindert werden, dass überhaupt erst Daten entstehen
Riegers Plädoyer wurde von großen Teilen des Publikums begrüßt. Manch Teilnehmer hatten sich von der Tagung konkrete Anstöße für einen solchen Widerstand erwartet. Doch nur die Bielefelder Medienkünstlerin Rena Tangens ging auf konkrete Handlungsperspektiven im Alltag ein. Als Aktivistin des "Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (Foebud) ist Tangens auch am Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung und an der Organisation einer Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung am 20.Oktober in Bielefeld involviert. Auch sie gab wie Frank Rieger die Parole "Daten vermeiden statt schützen" aus und nahm dabei Anleihen aus der Umweltbewegung: "Bei der Müllproblematik ist Abfallvermeidung besser als recyceln. Daten, die gar nicht erst anfallen, müssen auch nicht geschützt werden." Das scheinen, wenn man Kittlers Thesen folgt, die Islamisten in Afghanisten und im Nahen Osten schon länger verstanden zu haben.
Peter Nowak
Telepolis, 02. Oktober 2006
Original: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23669/1.html