Glücklicherweise wurde es nicht gesendet, was ich in Karlsruhe, gleich nach der Urteilsverkündigung zum Thema "NRW-Verfassungsschutzgesetz", ins Mikrofon sprach. Denn es hätte sicherlich sehr seltsam geklungen. "Es ist ein wenig wie Kinderkriegen" sagte ich, als mich der Reporter fragte, wie ich mich denn fühlen würde, weil es ein neues Grundrecht gäbe. "Das ist mein Baby!"
Was so dümmlich im Nachhinein klingt, ist jedoch schon das, was ich irgendwie empfinde. Dieser Blogeintrag wird also nicht ironisch oder sachlich, sondern ich möchte einfach mal schreiben, wie ich mich angesichts der ganzen Situation fühle. Insofern wird das so ein typischer "Ich und mein Tag in Karlsruhe"-Eintrag, der aber vielleicht auch mal ganz interessant ist (keine Sorge, demnächst wird es wieder sachlicher).
Ich habe mich ja recht schnell entschlossen, eine Verfassungsbeschwerde gegen das NRW-Gesetz einzulegen. Ich stand sozusagen "Vollmacht bei Fuss" und wartete, ob das Gesetz durchkommt. Sobald es durchkam, war klar: Verfassungsbeschwerde einlegen. Dann ging es darum, das Ganze zu finanzieren und Zittern war angesagt. Wie lange würde es dauern bis Karlsruhe entscheidet?
Dass die Entscheidung so schnell kam, war überraschend. Dass zudem noch nicht nur über das NRW-Gesetz entschieden werden sollte, sondern eine Grundsatzentscheidung gefällt werden sollte - das war schon etwas, was mich wirklich glücklich machte und hoffen liess. Und dann begann das Thema Onlinedurchsuchung/Bundestrojaner immer präsenter zu werden, selbst in irgendwelchen kleinen Käffern in Deutschland wie Fassberg (wo meine Mom lebt) wurde in der Lokalzeitung darüber berichtet.
Das war ein seltsames Gefühl, dass plötzlich Leute meinten "Hey, ich hab Deinen Namen hier gelesen...", aber es war auch nett zu wissen, dass (hier auch ein grosser Dank an den AK-Vorrat, der grossartige Arbeit leistet) die Themen jetzt auch mal bei den kleinen Zeitungen angelangt waren und den kleinen Mann erreichten.
Und als dann klar war, dass in Karlsruhe nicht nur eine Grundsatzentscheidung anstand, sondern diese auch schnell gefällt werden würde, da war bei mir auch Zittern angesagt.
Bei der mündlichen Verhandlung war ich nicht; aber die Urteilsverkündung wollte ich mir nicht entgehen lassen. Durch viele Datenschutzfreunde konnte ich also in Karlsruhe übernachten (danke, FoeBuD), konnte zum Gericht gefahren werden (danke, Marcus) und dann hiess es "Hoffen und Bangen".
Ich glaube, niemand kann nachempfinden, wie es mir am Mittwoch ging. Sicher, ich wusste, dass Presse da sein würde, dass das Medieninteresse hoch ist, dass viele Sendewagen da standen, sah ich auch, aber wenn ich in den Sitzungssaal gehe und dann plötzlich umringt bin von Journalisten mit Kameras und Mikrophonen, die dauernd sagen "Können Sie noch mal zu mir lächeln?" "Einmal bitte noch so stellen, dass man den Bundesadler sehen kann" etc, dann ist das so völlig surreal, dass ich dachte "Gleich wache ich auf und bin zuhause in meinem Bett und meine Katze liegt neben mir".
Es ist ein sehr seltsames Gefühl. Gerade auch als die ARDler für die Tagesthemen kamen und meinten "ähm, könnten Sie noch einmal im Mantel zur Tür hereingehen" war das so seltsam, dass ich mir wie im Comic vorkam.
Klar, für irgendwelche Promis etc. ist das völlig normal, dass sie von einer Phalanx von Journalisten umgeben sind, aber ich hatte mir überhaupt keine Vorstellung darüber gemacht, dass *so* viele Leute von der Presse da sein würden. Ich sprach nach dem Urteil, als wir noch ein Glas Sekt tranken, mit demjenigen, der mich unterstützt hatte (das "Mitglied der Linkspartei" ;-) und er meinte auch, er hätte das so als völlig absurd und surreal empfunden.
Als dann das Gericht erschien und es für die Beschwerdeführer etc. vorab die Pressemitteilung und eine Kurzform des Urteils gab, da hätte ich schon die ganze Welt umarmen können. Nicht nur standen da Begriffe wie "verfassungswidrig", "nichtig", "nicht verhältnismässig", "fehlender Richtervorbehalt" usw - nein, es stand da vor allen Dingen etwas, von dem ich, ganz ehrlich gesagt, nie zu träumen gewagt hätte. Es stand da etwas von einem neuen Grundrecht.
Und ich glaube, das ist ein Gefühl, was ich wirklich nicht beschreiben kann. Ich meine, ich sass da nur und las das und dachte "das kann nicht wahr sein, das kannst Du nicht (mit)geschafft haben". Ich meine, hey, man ist nur so ein kleiner Normali unter vielen und dann plötzlich führt eine Verfassungsbeschwerde (okay, eine von mehreren, aber ich war "Erste"!!!111) dazu, dass ein neues Grundrecht entsteht.
Ein Grundrecht, das ich für wirklich wichtig erachte und das sicherlich noch eine grosse Rolle spielen wird, wenn es um Vorratsdatenspeicherung etc. geht. Ich kann es leider - trotz meiner Fähigkeit, recht annehmbare Texte zu schreiben - nicht beschreiben, wie gut es sich anfühlt, dass dieses Grundrecht jetzt entstanden ist. Denn es ist ja nicht einmal so banal auf PCs begrenzt, sondern weit gefasst, dass es auch Handies, Navigationssysteme, Laptops, PCs, irgendwelche Prothesen, die "remote controlled" werden usw. erfasst.
Und insofern war das wirklich ein wenig wie "Kinderkriegen", es war als ob all die Jahre, in denen man beschimpft worden war, in denen man wegen seiner Tätigkeit als "Bürgerrechtlerin" (dieses Prädikat verleiht man sich nie selbst, aber man wird dafür angegriffen) Ärger hatte usw. - als ob all das sich jetzt einfach in diesem einen Moment so sehr gelohnt hatte. Als ob man einfach an etwas wirklich Grossem beteiligt gewesen war.
Selbst jetzt, zwei Tage später, bin ich noch nicht ganz runter von dem "ein neues Grundrecht *hüpf, kicher, begeistert bin* Trip. Ich könnte noch immer heulen vor Glück.
Vor einiger Zeit sagte ich einmal, dass ich eine Pause brauche, weil ich dem Datenschutz etc. zu viel Zeit bemass und darüber ein reales Leben vergass. Nun ja, aus der Pause und auch aus dem guten Vorsatz, dies zu ändern, wurde nicht viel. Dazu ist mir dies alles zu wichtig. Und ja, ich bin auch ein wenig stolz auf mich selbst, weil dieses Grundrecht nun da ist.
Aber eine kleine Anekdote noch zum Abschluss: Wer mich kennt, der weiss, dass es nicht so richtig normal für mich ist abzuschalten etc. Dennoch konnte ich gestern (noch im "Urteils-High") nicht widerstehen und ging einmal raus, ohne mich um anstehende Mails zu kümmern oder dergleichen. Nein, ich erzähle keine Details ;-) es geht um etwas anderes.
Während eines durchaus netten Abends fragte mich jemand, warum ich dies alles überhaupt antun würde. Warum ich z.B. jetzt, da ich doch in der Schweiz lebe, meinen Zweitwohnsitz in Deutschland haben werde, damit ich z.B. ggf. gegen das BKA-Gesetz angehen kann oder gegen andere Gesetze. Schliesslich sei ich doch eigentlich gar nicht mehr betroffen (nein, es war niemand aus der "Nichts zu verbergen"-Fraktion, ich denke, es war eher Neugierde).
Ich konnte nur sagen, dass es mir einfach sehr wichtig ist, dass manche Dinge einfach nicht sein dürfen und dass es manchmal auch Menschen geben muss, die etwas tun. Einfach so. Weil manche Dinge getan werden müssen wie ich finde.
Und weil ich daran glaube, dass es ab und an nur Leute geben muss, die sagen "jepp, wir machen das" damit andere sagen "ich helfe". Denn der eine ist vom anderen abhängig. Ohne die vielen Helfer wäre ich Nichts, aber vielleicht benötigen die Helfer eben auch jemanden wie mich, wie padeluun, wie Patrick Breyer, wie Herrn Baum oder Herrn Hirsch etc, die sagen "ich fange an".
Und deshalb macht mich dieses neue Grundrecht stolz und ein wenig glücklich. Und deshalb kann ich wohl auch nicht anders als weitermachen, weil mich manche Dinge einfach krank machen und ich dann denke "für einen solchen Moment wie am Mittwoch hat sich das Ganze gelohnt".
Ich wünsche euch allen viel Freude und Glück mit dem neuen Grundrecht auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme".
-sentimentalmodus- Dank an alle, die die Verfassungsbeschwerde möglich machten (egal ob finanziell oder durch Zuspruch), an diejenigen, die auf den Demos des AK Vorrat auftauchen, dort mitarbeiten, die Vereine wie den FoeBuD unterstützen und dort mitarbeiten, die sich gegen "nichts zu verbergen" wehren, ein grosses Lob an Yvan Boeres (ja, genau *den* Yvan Boeres für seinen Mut einzugestehen, dass "nichts zu verbergen" nichts so einfach ist - schaut ins Off Topic Forum, falls ihr nicht wisst, was ich meine), ein Dank insbesondere an meinen Anwalt, an all diejenigen, die in den letzten Jahren zur Stelle waren, um mir Mut zuzusprechen, wenn es wieder einmal "Terroristensympathisantin" und Co hiess in meine Richtung. Dank an Heise und Telepolis für die Berichterstattung, für die Chance, dort überhaupt schreiben zu dürfen und für dieses Blog. Und Dank an diejenigen, die mir halfen, überhaupt die Chance zu haben all dies weiterzuführen und mir auch sonst Chancen gaben. Und an diejenigen, die mir auch immer wieder zeigen, dass es trotz aller Datenschutz- und Bürgerrechtsbewegungsaktivität auch andere Dinge im Leben gibt, die man nicht völlig zur Seite schieben sollte und die mich überreden, auch mal ins Kino oder dergleichen zu gehen / oder halt mal abends einfach "raus" ;-) -/sentimentalmodus-
-knicks, Abgang von der Bühne- Wie gesagt, demnächst wieder sachlich, aber ich fand, es ist durchaus in Ordnung angesichts dieser Entscheidung in Karlsruhe auch mal von meinen Gefühlen zu sprechen. -träne wegwisch-
Twister
PS: Und glaubt bloss nicht, dass ich jetzt so sentimental bleibe. Einerseits sollte das BKA-Gesetz so nicht durchkommen, andererseits sind die Datenschutzorganisationen hier in der Schweiz nicht so aktiv, wie ich es mir wünschen würde ;-)
Bettina Winsemann
Telepolis, 01. März 2008
Original: http://www.heise.de/tp/blogs/5/104314