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Digitaler Taylorismus

Das ist schon ein dickes Ding: Gerade erst hat sich die Aufregung um die Überwachungsskandale bei Discountern wie Lidl und Aldi gelegt, da übernimmt die Telekom. Diesmal geht es nicht um so Profanes wie die Toilettengänge von Mitarbeitern, sondern um Informationslecks eines Global Players. Der „Rosa Riese“ hat systematisch Kommunikationsverbindungsdaten von Managern und Aufsichtsräten auswerten lassen, die verdächtigt wurden, Unternehmensinterna preiszugeben. Anzeige

„Big Brother“ Staat bekommt langsam ernsthafte Konkurrenz von den „Little Brothers“ aus der Wirtschaft. Die Hersteller von Tools zur Mitarbeiter-Überwachung wissen seit langem, welche Welle da anrollt: Seit Jahren verzeichnen sie zweistellige Wachstumsraten, wie mir kürzlich Carsten Rau von der Saarbrücker Firma Protectcom sagte. Er schreibt die Entwicklung in erster Linie einer allgemeinen Paranoia zu, die sich seit 9/11 ausgebreitet habe.

Aber es gibt einen zweiten Trend, der uns noch einige hässliche Sequels bescheren dürfte: einen „digitalen Taylorismus“.

Der Amerikaner Frederick Taylor hatte Anfang des 20. Jahrhunderts das umstrittene Konzept der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ entwickelt: Die Arbeitsabläufe in Fabriken wurden in Zeitstudien vermessen und standardisiert und sollten so nicht nur die Produktivität der Arbeiter erhöhen, sondern auch die Entlohnung auf eine messbare Grundlage stellen.

Galt das Konzept eigentlich als überholt, erlebt es in der so genannten Informationsgesellschaft eine Neuauflage. Wo die „Work Flows“ eines Unternehmens als Datensätze vorliegen, lassen sie sich natürlich auch auswerten. Die nötigen Analyse-Werkzeuge sind längst in gängige Unternehmenssoftware von Herstellern wie Novell oder SAP integriert. Aus den Daten können dann Leistungsprofile erstellt werden, auf deren Grundlage etwa Gehaltsverhandlungen geführt werden.

Ein krasses Beispiel ist die Software „NICE Perform“ der israelischen Firma Nice Systems. Mit ihrer Hilfe werden in Call-Centern Arbeitsabläufe in kontrollierbare Teilschritte zu zerlegt, um sie so „optimieren“ zu können. Nach Angaben von Nice lässt sich mit dem „Emotion Detection“-Modul der Tonfall eines Telefonats zwischen Call-Center-Mitarbeiter und Kunde in Echtzeit analysieren: Ist der Kunde aggressiv, reagiert der Mitarbeiter leicht gereizt auf dumme Fragen des Kunden? Verwendet der Mitarbeiter die vorgeschriebene Begrüßungsformel? Ein Vorgesetzter kann dann von der Software benachrichtigt werden, dass ein Gespräch nicht optimal verläuft und dem Mitarbeiter über dessen Bildschirm Anweisungen geben. Auch bei Finanzdienstleistern sei die permanente Analyse von Arbeitsabläufen im Kommen, sagt Karl-Heinz Brandl von ver.di-innotec, einer Tochterfirma der Gewerkschaft Verdi.

Es ist höchste Zeit, die Rechtslage an die digitalisierte Arbeitswelt anzupassen. Die stellt zwar keine Freibriefe aus: Eine Pauschalüberwachung am Arbeitsplatz ist bereits jetzt verboten. Und wenn ein Unternehmen die teilweise private Nutzung von Firmenrechnern erlaubt, wird es automatisch zu einem Telekommunikationsprovider, also einem Anbieter von Datendiensten, der den privaten Anteil der Kommunikation gar nicht erst erfassen darf. Besser wäre es jedoch, es gäbe ein einheitliches und strenges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Das fehlt bislang.

Das alleine wird jedoch nicht reichen. Wenn schon der Staat mit schlechtem Beispiel vorangeht, indem er mit Hilfe von illegal erhobenen Daten Steuersünder im Liechtensteiner Finanzexil aufspürt, ist zu erwarten, dass auch ein solches Gesetz immer wieder gebrochen wird.

Wir kommen deshalb nicht an der mühsamen Aufgabe vorbei, zusätzlich eine gesellschaftliche „Datenethik“ auf der Höhe der Zeit zu entwickeln. Gerade die Gewerkschaften müssen nun wackeren Datenschutz-Streitern wie dem FoeBud oder dem Chaos Computer Club zur Seite springen. Noch ist die organisierte Arbeitnehmerschaft kein Schnee von gestern. Sie sollte die jetzigen Skandale nutzen, um den digitalen Taylorismus ein für alle Mal im Keim zu ersticken.

Niels Boeing

Technology Review, Camridge, USA, 29. Mai 2008
Original: http://www.heise.de/tr/Digitaler-Taylorismus--/blog/artikel/108561

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