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Jeder hat seinen Preis

Unternehmen arbeiten an einer neuen Dimension des Online-Shoppings. Algorithmen sollen erkennen, was ein Kunde wohl zahlen würde und die Preise entsprechend anpassen.

Haben Sie schon mal etwas billiger bekommen, „weil Sie es sind“? Dann haben Sie als Kunde alles richtig gemacht. Vielleicht haben Sie sich für das teurere Produkt entschieden. Vielleicht war es ein Ladenhüter. Vielleicht sind Sie auch einfach ein guter Kunde.

Die Möglichkeit zur individuellen Preisgestaltung wünscht sich auch die Internetwirtschaft. Und sie kennt immer ausgefeiltere Methoden, um gute von schlechten Kunden zu unterscheiden. In Online-Shops findet heutzutage ein ständiges „Scoring“ statt, eine Bewertung der Nutzer anhand statistischer Daten.

Zuletzt hatte im Sommer 2012 eine Meldung des „Wall Street Journal“ für Wirbel gesorgt.

Darin stand, dass das Online-Reiseportal „Orbitz“ Apple-Nutzern ein anderes Suchergebnis anzeigt als Windows-Anwendern. Apple-Kunden wurden zuerst die teureren Zimmer präsentiert. Orbitz hatte angeblich herausgefunden, dass diese Zielgruppe bereit ist, im Durchschnitt 30 Prozent mehr auszugeben. Ein Algorithmus entnahm die Information zum verwendeten Betriebssystem dem Browser und traf eine entsprechende Vorauswahl. Das Prinzip habe sich bewährt, jubelten damals die Macher.

Im September 2012 erhielt Google ein Patent auf eine Technologie, die es erlaubt, Preise auf „elektronischen Content“ automatisch anzupassen. Das System soll anhand der „verfügbaren Information“ berechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Nutzer für ein Produkt noch einmal bezahlt, zum Beispiel für ein Video vom Online-Verleih. Indikatoren sind persönliche Vorlieben und das bisherige Einkaufsverhalten. Mit einbezogen werden könnte auch die Art des Films. Bei Google geht man davon aus, dass ein anspruchsvoller Film eher wieder im Warenkorb landet als eine Action-Komödie. Kommt die Maschine zu dem Schluss, dass der Kunde noch einen zusätzlichen Kauf-Anreiz braucht, sinkt der Preis.

Welche Pläne Google mit dem Patent verfolgt, will der Konzern nicht bekanntgeben. Man melde allerlei Ideen von Mitarbeitern an, heißt es von dort. Wirtschaftwissenschaftler haben ein Wort für das, was sich Google hat patentieren lassen: Preisdiskriminierung ersten Grades. Google ist nicht der erste Konzern, der daran denkt, an der digitalen Preisschraube zu drehen. Amazon soll es auch schon versucht haben. Als die Käufer dahinter kamen und sich entrüsteten, ließ der Konzern aber davon ab.

Das alles ist nicht weit weg von der Vorhersage des amerikanischen Computerexperten Dan Kaminsky. Schon Ende 2009 prophezeite er, dass der personalisierte Preis das „Schlachtfeld im Kampf um die Privatsphäre“ werde. Letztlich komme dieselbe Technologie zur Anwendung, die derzeit noch zum Platzieren personalisierter Werbung eingesetzt werde. In Kaminskys düsterer Zukunftsvision fließen auch persönliche Informationen aus den sozialen Netzwerken mit in die Berechnung ein. Wenn zum Beispiel eine Familie Hochzeit feiere, könnten die Flugtickets für Familienmitglieder mit einem Mal teuer werden – wegen der „unflexiblen Nachfrage“. Am Ende jedenfalls, so sein Fazit, werde die Frage stehen, „wo zur Hölle alle diese Daten herkommen“.

Das sei im Nachhinein immer schwer festzustellen, sagt Florian Glatzner, Referent beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Sowohl beim Sammeln der Daten als auch bei der Verwendung fehle es an Transparenz. „Für den einzelnen Verbraucher ist es schwer, etwas dagegen zu tun, deshalb braucht es gesetzliche Regelungen.“ Die Praxis des Kundenprofiling ließe sich zurzeit nicht verhindern, klagt auch Rena Tangens vom Datenschutzverein „Digitalcourage“. „Es sei denn wir kriegen eine europäische Datenschutzverordnung, die ihren Namen verdient.“

Doch seit der Vorschlag zur EU-Datenschutzgrundverordnung auf dem Tisch liegt, hat ein zähes Ringen um die Details begonnen. „Für unsere Branche ist es das wichtigste Gesetzgebungsverfahren in diesen Tagen“, sagt Sebastian Schulz, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels (BVH). Die Möglichkeit, Kunden-Profile aus Online-Daten zusammenzustellen, möchte sich die Branche gerne erhalten – als eine Art „Risikomanagement“, so Schulz. Dass sich Unternehmen über die Zahlungskraft ihrer Kunden informieren möchten, bevor sie auf Rechnung lieferten, könne man ihnen kaum verübeln. Dass deutsche Unternehmen aber Kundendaten nutzen, um die individuelle Preisanpassung in Echtzeit in Algorithmen festzuschreiben, hält der BVH-Sprecher für unwahrscheinlich. Jeder Versuch müsse „nach hinten los gehen“, weil die Verbraucher ja doch dahinter kämen.

In den USA haben Berichte über die Folgen des großflächigen Kunden-Profilings bereits eine Debatte über das Entstehen eines Zweiklassen-Internets ausgelöst, in dem sich die Wirtschaft gezielt die Rosinen rauspickt. Von „Weblining“ ist die Rede, in Anlehnung an das „Redlining“, eine Praxis aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damals wurden Wohngebiete mit einem geringen Durchschnittseinkommen rot markiert, um die Einwohner von Krediten und Versicherungen entweder ganz auszuschließen oder höhere Policen zu verlangen. „Durch Datenauswertungen im großen Stil werden gesellschaftliche Verwerfungen auftreten“, sagt Tangens. Ungleichheiten würden durch die technischen Systeme zusätzlich verstärkt.

„Die Reichen sehen ein anderes Internet als die Armen“, schrieb der Online-Experte Michael Fertik Anfang des Jahres in einem Aufsatz für den „Scientific American“. Er zeichnet ein düsteres Bild von einer gespaltenen Gesellschaft. Heute lässt sich sagen: Es ist eine Warnung, aber noch nicht die Realität. Die Nutzer sind dem „Internet der Konzerne“ nicht hilflos ausgeliefert. Wer sich der Funktionsweisen bewusst ist, kann darauf entsprechend reagieren. Viele plädieren deshalb für eine „Algorithmen-Ethik“ der Unternehmen. Die Kriterien, nach denen die Nutzer in handliche Gruppen eingeteilt werden, sollten offen gelegt werden.

Datenschützer wie Kirsten Fiedler von der Lobbygruppe European Digital Rights (Edri) raten hingegen zu „digitaler Selbstverteidigung“. Man solle alternative Suchmaschinen verwenden und Browser-Plugins installieren, die lästige Tracking-Systeme verraten und Cookies erst gar nicht zulassen oder löschen. Findige Nutzer setzen gleich auf das Anonymisierungsnetzwerk „Tor“, das alle Spuren verwischt. Das könnte tatsächlich nützlich sein. Die Erfahrung hat schließlich gezeigt: Welche Daten sensibel oder harmlos sind, ist immer relativ.

Laura Stresing

Tagesspiegel, 15. Juni 2013
Original: http://www.tagesspiegel.de/medien/jeder-hat-seinen-preis/8353500.html

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