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Auf dem Weg zum Überwachungsstaat?

Im Bundestag wurde heute über die Vorratsdatenspeicherung entschieden. In Zukunft müssen Provider und Telefongesellschaften die Daten für ein halbes Jahr speichern. Die Große Koalition stimmte das Gesetz mit 366 Ja-Stimmen durch. Die Opposition stimmte geschlossen gegen Gesetz.

Auch heftigste Kritik konnte die Große Koalition von dem Vorhaben nicht abhalten. Seit das Vorhaben bekannt wurde, laufen DatenschützerInnen dagegen Sturm.

Erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit

Jörg van Essen, parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, kritisiert das Gesetz als Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung: "Bürger werden unter Generalverdacht gestellt". Er begrüßte Ankündigungen, gegen das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu klagen.

Das Gesetz erwartet nun die mit ca. 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern größte Verfassungsbeschwerde, die dem Bundesverfassungsgericht jemals vorgelegt worden ist. Die Beschwerde werde laut Angaben des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung eingereicht, wenn und sobald das Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird. Der Jurist Patrick Breyer (AK Vorratsdatenspeicherung): "Das Fernmeldegeheimnis wird von den Gerichten wieder hergestellt werden. Dagegen ist die Wählbarkeit von SPD, CDU und CSU für die Generation Internet endgültig verloren gegangen." padeluun vom FoeBuD e.V.: "Wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippt, müssen sich dann alle Abgeordneten, die dafür gestimmt haben, in die Ecke stellen und schämen?"

Die Verfassungsbeschwerde wird auch von Bundestagsabgeordneten unterstützt. Zuletzt haben sich auch Vizefraktionschefin Petra Pau von der Partei Die Linke und eine Gruppe von FDP-Bundestagsabgeordneten um Burkhard Hirsch ihr angeschlossen.

Zypries zeigt sich uneinsichtig

Bundesjustizministerin Zypries (SPD) dagegen zeigt sich klar in der Gewinnerposition. Daher spricht sie von "Verständnis für die Sorgen in der Bevölkerung" und davon, dass das Gesetz nicht in den Überwachungsstaat führe. Inhaltlich schwach kann da nur ihre Begründung klingen, denn jedes Mal, wenn Grundrechtsabschaffungen anstehen wird auf den Terrorismus verwiesen: Ziel sei es, künftig bei möglichen terroristischen Anschlägen und anderen schweren Straftaten Kontakte zurück verfolgen zu können.

Brisant: Journalisten bespitzelt

Der Terrorismus - heute wurde bekannt, dass während der G8-Proteste Telefongespräche von Journalisten und Anwälten abgehört und diese Gespräche protokolliert wurden. Veranlasst hatte dies das Bundeskriminalamt im Zuge zweier Ermittlungen gegen mutmaßliche Linksextremisten. Betroffen waren unter anderem Mitarbeiter von "tagesschau.de", "NDRInfo" und vom "Tagesspiegel". Dabei stand jedoch der Inhalt der Protokolle nach Einschätzung des betroffenen "tagesschau.de"-Mitarbeiters in keinerlei Zusammenhang mit den Ermittlungen. Gespeicht wurde sehr genau: genauer Wortlaut, Dauer der Gespräche, der volle Name, Hinweise auf Redaktionsinterna und redaktionelle Entscheidungsprozesse. Über die Maßnahme wurden weder die abgehörten Journalisten noch die Verlagshäuser informiert. Nur über Dritte wurde die Aktion bekannt.

"In welcher Gesellschaft wollen wir leben?"

Zur weiteren Arbeit des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der die Proteste der letzten Wochen und Monate koordiniert hat, erklärt Ricardo Cristof Remmert-Fontes: "Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung wird weiter die Frage stellen, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben wollen und daran arbeiten, das Bewusstsein für die Grundwerte unserer freien Gesellschaft zu fördern. Wir sind erst am Anfang unserer gemeinsamen Arbeit."

Update 1: Deutschland gewährt 52 Staaten Zugriff auf Vorratsdaten

Die Bundesregierung hat am 28. September 2007 einen Beschluss gefällt, wonach Deutschland dem "Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität" beitreten soll. Mit diesem Beitritt würden 52 Staaten in Europa und weltweit den Zugriff auf die ab 2008 in Deutschland zu speichernden Vorratsdaten eröffnen, nicht nur zur Verfolgung von Computerstraftaten, sondern jeglicher im Ausland mit Strafe bedrohter Handlung.

Update 2: Große Koalition gibt Gutachten nicht frei

Das Freiburger Max-Planck-Instituts (MPI) für Strafrecht hat ein Gutachten zur "polizeilichen Nutzung von Telekom-Verbindungsdaten" angefertigt. Das 400-seitige Gutachten wird vom Justizministerium jedoch nicht freigegeben. Sollte man sich hier nicht fragen, ob die Bundesregierung Angst vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung hat?

Uebergebuehr e.V., Darmstadt, 10. November 2007
Original: http://www.uebergebuehr.de/de/aktuell/news/meldung/ansicht/2007/11/auf-dem-weg-zum-ueberwachungsstaat/

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