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Sommerakademie 2008: Internet – Alles möglich, noch nicht genügend privat!

„Internet 2008 – Alles möglich, nichts privat? “ – die Frage des Titels der Sommerakademie 2008 wurde von den Rednern am Vormittag dieser Tagung beantwortet mit „Ja, aber“. Die Sommerakademie, von der DATENSCHUTZAKADEMIE Schleswig-Holstein und dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) jedes Jahr in Kiel organisiert, führte dieses Jahr über 500 Datenschutzinteressierte zusammen. Die erste Schlussfolgerung der Vorträge ist klar und knapp: Der Datenschutz im Internet ist Not leidend – Hilfe ist aber möglich, wenn die Beteiligten dies wirklich wollen.

Der Präsident des Landtags Schleswig-Holstein Martin Kayenburg stellte heraus, dass das Hauptkennzeichen von Privatheit die Abgrenzung gegenüber anderen ist, die Abschottung der „eigenen“ Angelegenheiten. Demgegenüber neige das Internet dazu, diese Abschottung aufzuheben. Kayenburg forderte vorrangig eine bessere Aufklärung über Möglichkeiten und Gefahren des Internet, die Entwicklung von Privatheit schützenden Technologien und klare gesetzliche Regelungen.

Nach Ansicht des Leiters des ULD Dr. Thilo Weichert sind die bestehenden Gesetze renovierungsbedürftig. Die aus den 90er Jahren stammenden Normen passten nicht mehr auf die Praxis der Internetkommunikation, bei der wegen der Globalität der Verarbeitung oft die Zuständigkeiten und die Verantwortlichkeiten völlig unklar seien. Der Gesetzgeber wie die Datenschützer müssten berücksichtigen, dass bei Internetveröffentlichungen Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit und damit Art. 5 des Grundgesetzes relevant sind. Die Wahrnehmung der Betroffenenrechte könne über ein Beschwerdemanagement verbessert werden.

Der frühere Richter beim Bundesverfassungsgericht Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, geistiger Vater der anlässlich der Entscheidung zur Online-Durchsuchung begründeten Grundrechtsausprägung „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“, legte die Schutzpflichten des Staates dar. Datenschutzrecht solle Informationsflüsse lenken, nicht verhindern. Die Festplatte des persönlichen PCs, ein virtuelles Spiegelbild des Nutzers, müsse vor privaten, im Grundsatz aber auch vor staatlichen Begehrlichkeiten geschützt werden.

Dr. Alexander Dix, Berliner Datenschutzbeauftragter, beschrieb die farbige und zugleich oft düstere Welt, die sich im Internet für eine Datenschutzaufsichtsbehörde auftut. Er betonte, dass Internetanbieter z. B. aus den USA bei Angeboten für Europa sich an europäisches Datenschutzrecht halten müssen, und stellte klar, dass Datenschutzkontrolle, d.h. Persönlichkeitsschutz von betroffenen Menschen, nichts mit Zensur zu tun hat. Er plädierte dafür, datenschutzfreundliche Internetangebote mit Gütesiegeln auszuzeichnen, um so mehr Transparenz und Berechenbarkeit für die Nutzer oder Anwender zu schaffen.

Dieser Ball wurde von Thomas Duhr, in Vertretung von Matthias Ehrlich, Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft aufgegriffen. Er plädierte gegen neue Gesetze. Vielmehr müssten die bestehenden Normen durchgesetzt werden. Er stellte dar, dass in anderen Staaten ein völlig anderes Verständnis von Datenschutz bestünde. Deutschland dürfe dadurch aber keinen Wettbewerbsnachteil auf dem globalen Informationsmarkt erleiden. Hier im Lande sei das Vertrauen der Nutzer eine Grundbedingung für Geschäfte im Internet. Daher werde dem Datenschutz eine hohe Bedeutung zugemessen.

Prof. Hendrik Speck von der Fachhochschule Kaiserslautern setzte sich mit dem Bewusstsein und den Handlungsweisen v. a. jüngerer Nutzer von Social Communities in Netz auseinander. Unbedachtheit und mangelnder Respekt vor der Privatsphäre anderer seien aber nur die eine Seite des Problems. Intransparenz der Angebote und übermäßige Datengier auf Seiten der Anbieter leisteten unabhängig vom Verbraucherverhalten ihren Beitrag für programmierte Datenschutzverletzungen. Besonders problematisch für die Nutzer seien Fragen der Data Portability: „Wem gehört mein Adressbuch? “

Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein Lothar Hay nannte das Internet „Meister der Datenspeicherung“. Da dies auch für Kriminelle gilt, sei der Staat im Interesse der Sicherheit verpflichtet, neue Eingriffsmaßnahmen in den gesetzlichen Instrumentenkasten aufzunehmen. Durch die neuesten Entwicklungen im Web sei die Erschließbarkeit von strafrechtlich relevanten Daten von 80-90% auf ca. 70% gesunken, was u. a. bei der Bekämpfung von Internetkriminalität, Kinderpornografie und Rechtsextremismus ein Problem darstelle. Zugleich betonte Hay, dass der Staat die Freiheitsrechte stärker und sorgfältiger gewichten müsse als bisweilen.

Die stellvertretende Leiterin des ULD Marit Hansen begann damit, am Reißbrett ein neues sichereres Internet zu designen. Anschließend stellte sie Datenschutz fördernde Techniken für das Internet vor und machte pragmatische Vorschläge, wie sowohl Privatheit der Nutzer als auch deren Selbstbestimmung zu gewährleisten sind. Diese sollten in einfach benutzbare Standardtools integriert werden. Nutzer, Anwender und Datenschutzaufsicht müssten gemeinsam dafür sorgen, dass diese – international – nachgefragt werden.

In den Infobörsen am Nachmittag werden Spezialthemen zum Internetdatenschutz vertieft, z.B. zur Vorratsdatenspeicherung und zur Internetstrafverfolgung, zur Praxis der Internetnutzung in Betrieb und Verwaltung, zum E-Government, zu Webportalen und Sozialen Netzwerken, zum Selbstdatenschutz, zum Identitätsmanagement sowie zur weltweiten Standardisierung. Neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ULD (Angelika Martin, Maren Raguse, Kirsten Bock, Sven Thomsen, Dr. Thomas Probst, Harald Zwingelberg, Henry Krasemann, Christian Krause) konnten dafür als Fremdreferenten Martin Engers vom Bundesministerium der Justiz, Rechtsanwalt Dr. Marco Gercke, Dataport-Vorstandsmitglied Dr. Johann Bizer, der stellv. Berliner Datenschutzbeauftragte Dr. Thomas Petri sowie die Abteilungsleiterin der Verbraucherzentrale Bundesverband Cornelia Tausch gewonnen werden. Ein vom ULD durchgeführtes Projekt zum Datenschutz bei Online-Spielen wird vorgestellt. Präsentiert werden weiterhin Stand und Perspektiven der regionalen, nationalen und europäischen Vergabe von Datenschutz-Gütesiegeln.

Die Veranstaltung schließt mit einer von Marit Hansen moderierten Podiumsdiskussion, an der neben den Vortragenden Bizer und Ehrlich der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Michael Bürsch, der Justizsenator von Hamburg Dr. Till Steffen, der Abteilungsleiter im Finanzministerium Schleswig- Holstein Prof. Dr. Utz Schliesky sowie das Jurymitglied des BigBrotherAwards und FoeBuD- Vorstandsmitglied Rena Tangens teilnehmen.

In einem Schlusswort wird Prof. Albert von Mutius als Resümee der Veranstaltung feststellen, dass Privatheit im Internet nicht unmöglich ist, wenn alle Beteiligten hierzu beitragen: vom Nutzer, über die Anbieter von Software und Webdiensten, die Datenschützer bis zum Gesetzgeber.

Die nächste Sommerakademie wird voraussichtlich am Montag, den 31. August 2009, wieder im Hotel Maritim in Kiel zum Thema „Arbeitnehmerdatenschutz“ stattfinden.

ULD

Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, Kiel, 01. September 2008
Original: https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20080901-sommerakademie.htm

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