In Zeiten des Terrors haben Verfechter der Videoüberwachung Oberwasser. Auch an vielen Unis sind bereits Kameras installiert, die aber mehr auf Langfinger schielen als auf Attentäter. Rechtlich umstritten sind die Maßnahmen dennoch. Räume, Flure und Eingänge von Hochschulen sind keine öffentlichen Orte. Die Rektorate können, wenn sie sich zur Installation von Videokameras entschließen, sagen: Wir machen nur von unserem Hausrecht Gebrauch. Und das tun einige Unis und Fachhochschulen. Zur Prävention von Straftaten und zur Verfolgung von Delinquenten – so deren Sicht. Zur Einschüchterung und zur Sozialkontrolle – sagen Kritiker.
Axel Rüweler vom Bielefelder Verein „Foebud“ (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) hat jüngst dem Phänomen nachgespürt. An 300 Unis hat er Fragebögen geschickt. 80 davon kamen zurück. Elf von den 80 nutzen Videokameras, die einen im großen Stil, die anderen punktuell. Wozu? Um den Campus im Blick zu haben. Um technische Geräte in Hörsälen und Computerräumen zu sichern. Passiert nichts, wird das Filmmaterial turnusmäßig gelöscht. Kommt es zu einem Diebstahl oder zu einem sonstigen Delikt, wird es nachträglich nach verwertbaren Spuren gesichtet. In der Hoffnung, den Delinquenten darauf zu erkennen und zu identifizieren.
Aber wo finden sich die Rechtsgrundlagen dafür? Was ist vom Gesetz erlaubt, wo ist die Grenze überschritten? Wer bestimmt, was und wo überwacht wird? Muss das Recht auf das eigene Bild zurücktreten, wenn dadurch Straftaten verhindert und aufgeklärt werden können? Ganz aktuell streitet man über diese Fragen an der Uni Münster, wo drei Studierende Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Kameraüberwachung eingelegt haben. Dort hatten einzelne Institute 2004 damit begonnen, Kameras zu installieren. „Eigenmächtig, ohne Hinweisschilder und ohne die Studierenden und den Datenschutzbeauftragten der Uni einzubeziehen“, sagt Tim Ackermann vom Asta-Referat Politische Bildung/Demokratische Rechte. Gegen den „Spähangriff“ sammelte der Asta Unterschriften, machte das Thema mit Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen öffentlich. Bis sich das Büro von der NRW-Datenschutz-beauftragten Bettina Sokol einschaltete. „Da ist das Ganze etwas außer Kontrolle geraten“, räumt deren Sprecherin Bettina Gayk ein. Die oberste Datenschützerin des Landes riet: „Erstmal die Kameras abschalten, bis die Rechtslage geklärt ist.“
Die klagenden Studenten machen ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geltend. 1983, als man in der Bundesrepublik mit „Big Brother“ nicht den Fernsehcontainer meinte, sondern den vermeintlichen Überwachungsstaat (Volkszählung), hatte es das Bundesverfassungsgericht erstmals defi niert. Die Karlsruher Richter befanden, dass schon allein das Gefühl, überwacht zu werden, eine Einschränkung dieses Grundrechts darstellt und auf das Verhalten und die Bewegungsfreiheit ungescholtener Bürger negativ Einfl uss nimmt.
Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch keine Angst zu haben – so lautet oft das Argument von Hochschulleitungen, die auf Videoeinsatz bauen. Man könne nicht anders, um Diebstähle, Vandalismus und Übergriffe zu verhindern. Schließlich hätten alle Studierenden etwas davon:
PC-Pools, die dank Kameras länger geöffnet bleiben, Unibibliotheken wie in Konstanz und Karlsruhe, die dank optischer Überwachung sogar rund um die Uhr zugänglich sind – ein Plus an Service auch ohne zusätzliches teures Aufsichtspersonal, das sich die klammen Unis nicht leisten können.
„Davon will ich die Studierenden überzeugen“, sagt der Datenschützer der Berliner Humboldt- Uni, Andre Kuhring. „Mir ist kein Fall bekannt, dass ein Täter per Video überführt wurde“, entgegnet Axel Rüweler von Foebud. Die Seien oft den Unis gar nicht bekannt oder machen sich, weil sie ja von dem Kameras wissen, vor der Tat entsprechend unkenntlich. Sinnvoll, so Rüweler, seien sie eigentlich nur, wenn eine Art Uni-Detektiv am Monitor sitze, um einen Delinquenten in flagranti zu erwischen oder die Polizei zu verständigen,
wenn Gefahr im Verzug ist. Videoüberwachung bleibt letztlich eine Frage der Abwägung: Wie hoch ist der materielle Schaden und was muss, um ihn abzuwenden, investiert werden? „Wenn einmal im Jahr für fünf Euro ein Buch geklaut wird, dann braucht man in der Bibliothek keine Videokamera“, sagt Andre Kuhring von der HU Berlin. Ähnlich sieht man das auch an der Uni Freiburg. Dort wurden allein 2004 30 Beamer geklaut. Gesamtschaden: 200 000 Euro. Trotzdem sagt Sprecher Rudolf Dreier zum Einsatz von Kameras: „Das lohnt sich nicht.“ Billiger und für das interne Klima besser: die Beamer sind jetzt alle fest in Tischen verankert.
Hans Christof Wagner
UNICUM.de, Bochum, 01. Oktober 2006
Original: http://www.unicum.de/evo/7862_1