Die Enquete-Kommission Internet befasst sich am Montag (05.07.10) in einer öffentlichen Anhörung mit den "Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft". Netzaktivist und Kommissionsmitglied Padeluun fordert einen sozialen Umgang mit den Daten.
Die im Mai 2010 vom Bundestag gebildete Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" besteht aus 17 Abgeordneten und 17 Sachverständigen. Bis zum Sommer 2012 soll sie dem Parlament politische Handlungsempfehlungen vorlegen. Der Künstler und Bürgerrechtler Padeluun vom Bielefelder Datenschutzverein FoeBuD ist einer der Experten, die von den Parteien ausgewählt wurden. Ihn hat die FDP in das Gremium berufen. Padeluun ist Mitglied aller drei Projektgruppen, die sich mit den Themen Netzneutralität, Urheberrecht und Datenschutz beschäftigen.
WDR.de: Die Enquete-Kommission hat den Auftrag, ein sehr breites Themenfeld zu untersuchen. Es geht um Bildung, Kultur, Wirtschaft, Umwelt, Recht und um zwischenstaatliche Fragen. Besteht da nicht die Gefahr, an der Oberfläche zu bleiben?
Padeluun: Die Gefahr besteht tatsächlich. Deshalb muss die Enquete-Kommission aufzeigen, wie breit das Themenspektrum tatsächlich ist. Es reicht nicht, nur eine Kommission einzusetzen, sondern Netzpolitik muss tief im Bewusstsein und in den Strukturen des Bundestags verankert sein.
WDR.de: Auf welche Fragen muss die Kommission Antworten finden?
Padeluun: Eine der Aufgaben wird es sein, überhaupt die Fragen herauszufinden, die zu stellen sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Netzgesellschaft so regeln, dass wir zwar Daten abgeben können, aber nicht dauernd auf der Hut sein müssen, was mit diesen Daten gemacht wird. Bisher ist es so, dass manche Website-Betreiber versuchen, Leute dazu zu bringen, ihre Daten preiszugeben - ihnen aber vorher nicht genau sagen, was mit den Daten geschieht und damit sozusagen Einverständniserklärungen erschleichen. Sobald man auf einer Website mal so eine dumme Horoskop-Frage beantwortet, weiß der Anbieter, welches Geburtsdatum der Nutzer hat und kann ihm beim nächsten Besuch altersgerechte Werbung einblenden. Solche Dinge müssen wir unmöglich machen.
WDR.de: Welche Themen werden in den drei Projektgruppen Netzneutralität, Urheberrecht und Datenschutz behandelt?
Padeluun: Was unter Netzneutralität, der gleichberechtigten Übertragung aller Daten, genau verstanden werden soll, ist momentan noch umstritten. Es geht zum Beispiel um die Frage: Ist es rechtens, dass Provider versuchen, von Google Geld dafür zu verlangen, dass die Kunden des Providers überhaupt Zugang zu Google haben? Und falls Google dem Provider nichts bezahlt: Kann der Kunde dann Google nicht mehr benutzen und muss auf die Suchmaschine des Providers zurückgreifen? Das würde das Netz noch mehr zerfasern. Das ist sicher nicht in unserem Sinn, wo wir das Netz doch dafür aufgebaut haben, dass jeder mit jedem kommunizieren kann.
Beim Urheberrecht liegt es auf der Hand, dass sich etwas ändern muss. In der Musikindustrie gibt es Konzerne, die jeden, der kostenlos einen Song kopiert, mit Strafverfolgung überziehen wollen. Da muss überlegt werden, wie der Kunde und wie die Firmen glücklich gemacht werden können.
Im Bereich Datenschutz sind momentan die sogenannten sozialen Netzwerke das größte Problem. Viele Menschen wollen Daten von sich preisgeben, weil sie sich davon soziale Kontakte erhoffen. Das hat aber viele Widerhaken. Es gilt zu klären, was zu tun ist, damit diese Netzwerke für Menschen, die mal was Unbedachtes ins Netz gestellt haben, nicht zur Katastrophe werden.
WDR.de: Wie weit ist die Kommission mit Ihrer Arbeit?
Padeluun: Wir sind im Moment immer noch dabei, herauszufinden, wie wir miteinander arbeiten können. Noch fehlen die entsprechenden Arbeitsmittel. Bis jetzt habe ich noch nicht einmal WLAN im Bundestag, auch ins Hausnetz kann ich mich dort nicht einklinken. Da muss auf der Verwaltungsebene noch etliches passieren, bevor wir richtig arbeiten können. Einige von uns haben angefangen, mit Etherpad zu arbeiten, also mit einer Software im Netz, die es ermöglicht, dass mehrere Leute gleichzeitig in einem Dokument schreiben können. Ich habe in eine Sitzung Liquid-Feedback als Idee eingebracht, ein Tool, das es eventuell ermöglicht, große Teile der Bevölkerung in die Diskussion einzubeziehen. Momentan sind die Bürger nur über ein Forum auf der Seite des Bundestages zur Enquete-Kommission mehr schlecht als recht eingebunden.
WDR.de: Wie groß ist Ihr Einfluss als Sachverständiger?
Padeluun: Die Parteien haben außer mir noch andere Netzaktivisten als Sachverständige benannt. Wir haben öffentlichkeitsmäßig einen riesigen Output. Wir sind keine unbekannten Professoren, die sich mal mit einem Fachgebiet beschäftigt haben und deshalb mit am Tisch sitzen. Die Enquete-Kommission existiert, weil es uns gibt. Das ist allen klar und das wird auch entsprechend gewürdigt. Manchmal gibt es natürlich Schaukämpfe zwischen uns und etwas statusbewussteren Abgeordneten, die auf ihren Vorrang pochen. Wir können uns aber wehren. Ich mache mir keine Gedanken darüber, dass es die Politik schafft, uns Sachverständige am Gängelband zu führen.
WDR.de: 2012 soll die Kommission ihre Ergebnisse vorlegen. Sind sie angesichts der rasanten technologischen Entwicklung dann nicht schon überholt?
Padeluun: Wir haben es zwar mit einer Technik zu tun, die sich immer weiterentwickelt, aber zurzeit stehen keine umwälzenden Neuerfindungen an. Wir sind in einer Phase, in der die bereits bekannten Erfindungen billiger werden und sich allgemein verbreiten. Da ist es relativ einfach, etwas zu gestalten, was zukunftsweisend ist.
WDR.de: Welche Chancen bestehen, dass die Ergebnisse auch tatsächlich umgesetzt werden?
Padeluun: Wenn es weiterhin eine Bewegung gibt von wachen Menschen, die sagen, wir lassen uns nicht einfach verwalten und zu Datenpaketen degradieren, sehe ich auch eine große Möglichkeit, dass Ergebnisse umgesetzt werden. Aus dieser Auseinandersetzung von Leuten, die Geld verdienen wollen, und von Leuten, die ihre Freiheit behalten wollen, könnte ein Synergieeffekt entstehen: Dass Unternehmen nicht zu Datenkraken werden, sondern merken, dass ein verantwortlicher und sozialer Umgang mit den Daten von den Kunden honoriert wird. Dann kann ich mir schon vorstellen, dass sich eine digitale Gesellschaft entwickelt, die lieber versucht, paradiesischer zu leben, als sich gegenseitig alles zur Hölle zu machen.
Dominik Reinle
Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 05. Juli 2010
Original: http://www.wdr.de/themen/computer/internet/enquete_kommission/index.jhtml