Krankenkassen fordern ihre Versicherten derzeit auf, ein Foto für die elektronische Gesundheitskarte einzureichen. Darf sie mit Rausschmiss drohen, wenn Versicherte sich weigern?
Ein Foto soll die neue elektronische Gesundheitskarte fälschungssicherer machen. Dabei macht schon der Chip auf der Karte manchen Versicherten Sorgen. Carolin Henning aus Bielefeld etwa will den Chip nicht. Sie will auch die neue elektronische Gesundheitskarte nicht und schickte ihrer Krankenkasse daher auch kein Foto.
Daraufhin bekam sie von ihrer Krankenkasse nicht nur viele Schreiben: „"Die TK hat mehrmals versucht, mich anzurufen, hat meinen Vater auch auf der Arbeit angerufen, was sich gar nicht gehört, da ich volljährig bin."“
Warum so viel Aufmerksamkeit? Die Techniker Krankenkasse wollte uns dazu leider kein Interview geben. Immerhin bietet Dirk Ruis vom Verband der Ersatzkrankenkassen, in dem auch die Techniker Krankenkasse Mitglied ist, eine Erklärung an: „"Der Gesetzgeber hat ja den Krankenkassen auferlegt, bis Ende des Jahres, bis Ende 2012, an 70 Prozent ihrer Versicherten die neue elektronische Gesundheitskarte auszugeben. (...) Ich glaube, der Nutzen der Karte ist sehr hoch. Die Krankenkassen versuchen auch, die Versicherten davon zu überzeugen mit dem entsprechenden Werbematerial."“ Speicherung zahlreicher Patientendaten
Beschlossen wurde die elektronische Gesundheitskarte bereits 2003 von der rot-grünen Koalition. Als Auslöser des Projekts gilt der Lipobay-Skandal, bei dem 2001 mehr als 50 Menschen an tödlichen Wechselwirkungen von Medikamenten starben. Um so etwas auszuschließen, sollte eine neue Karte her, die einen Überblick über alle verschriebenen Medikamente bieten soll.
Momentan kann die elektronische Gesundheitskarte aber noch nicht mehr als die alte. Der Speicherchip soll es künftig möglich machen, erklärt Dirk Ruis: „Die Karte soll in Zukunft drei Dinge können: Zum einen Notfalldaten des Versicherten speichern, zu"m Beispiel die Blutgruppe, Vorerkrankungen, Allergien. Sie soll den elektronischen Datenaustausch zwischen den Ärzten verbessern, den sogenannten elektronischen Arztbrief. Und sie soll vor allem Patientendaten des Versicherten speichern, eine elektronische Patientenakte, Behandlungsergebnisse, Untersuchungsergebnisse oder auch Röntgenbilder."“
Die Patientendaten sollen dann zentral abrufbar sein. Als Schlüssel dazu dient die elektronische Gesundheitskarte des Patienten, der Heilberufsausweis des Arztes und eine PIN, die der Patient eingeben muss. Dann kann der Arzt seine Diagnose auf einem Datenträger ablegen. Der Transfer erfolgt verschlüsselt, ebenso die Speicherung. Ein anderer Arzt kann die Daten abrufen. Das geht ebenfalls nur mit dem Heilberufsausweis, der Gesundheitskarte und der PIN.
Notfalldaten, elektronischer Arztbrief und Patientenakte zentral abrufbar? Das ist Carolin Henning zu viel. Auch beim Bielefelder Verein Foebud will man die elektronische Gesundheitskarte nicht. Die Datenschützer gehören zum Bündnis „Stoppt die e-Card“. Ihre Sorge: Versicherte werden zu gläsernen Patienten, wenn so viele Daten jederzeit von Servern abrufbar sind.
Noch ist das zentrale Speichersystem Zukunftsmusik. Ob die Notfalldaten, der Arztbrief oder die Patientenakte dort irgendwann digital hinterlegt werden, sollen Versicherte selbst entscheiden können.
Die elektronische Gesundheitskarte hat bis heute schon sehr viel Geld gekostet: Auf rund 940 Millionen Euro schätzt der Bund der Steuerzahler den Aufwand. Datenschützer Nils Büschke vom Verein Foebud hätte die Investition an anderer Stelle für zweckmäßiger gehalten: „"Dieses Geld wäre sicherlich an ganz, ganz vielen Stellen im Gesundheitssystem besser angelegt, etwa in zusätzlichem Personal, mehr Arztpraxen oder Ähnlichem."“ Die Befürworter dagegen setzen auf große Einsparungen. So soll die bessere Vernetzung der Ärzte unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden.
Zurück zum Anfang: Müssen Kartengegner wie Carolin Henning die neue Gesundheitskarte akzeptieren? markt liegt ein Brief vor, den eine andere Krankenkasse an einem Kartenverweigerer geschrieben hat. Darin heißt es, dass ohne die neue Gesundheitskarte Ärzte „"gegebenenfalls keine medizinische Versorgung durchführen"“ können.
Das stimmt so nicht! Der Versicherungsschutz bleibe auch ohne Karte bestehen, beruhigt der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. Allerdings könnten Ärzte dann eine Privatrechnung stellen, die die Krankenkasse nicht zu 100 Prozent begleichen müsse.
Für Carolin Henning steht fest: Solange ihre alte Karte noch gültig ist, geht sie weiterhin damit zum Arzt. Ihre Karte gilt immerhin noch bis Oktober 2014.
Jeannette Cwienk
Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 24. September 2012
Original: http://www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2012/0924/00_gesundheitskarte.jsp