Die Gemüter ereifern sich hitzig nach Bekanntgabe des Koalitionsvertrags, der am 26.10.2009 unterzeichnet wurde. So wirft z.B. die Bürgerrechtsorganisation FoeBuD der FDP Wortbruch vor. Der FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle habe sich offensichtlich dagegen entschieden, mehr für die Bürgerrechte herauszuholen. Weder der Vorratsdatenspeicherung noch Online-Durchsuchungen wird Einhalt geboten. Auch das „Aus“ für die Internet-Sperren erweist sich bei näherem Hinsehen als zweifelhafter Erfolg.
134 Seiten lang ist er geworden, der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Viele hofften auf den Einfluss der Liberalen. Doch was ist daraus tatsächlich geworden? Wir haben die Themen Vorratsdatenspeicherung, Arbeitnehmerdatenschutz und Datenschutzpolitik unter die Lupe genommen.
Im Abschnitt „Datenschutz“ einigten sich die Partner auf folgende Formulierung:
„... werden wir das Bundesdatenschutzgesetz unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsentwicklung lesbarer und verständlicher machen sowie zukunftsfest und technikneutral ausgestalten.“
Einen zeitlichen Rahmen oder inhaltliche Ziele steckt der Vertrag allerdings nicht.
Während das FDP-Wahlprogramm die bedingungslose Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung forderte, wird jetzt laut Koalitionsvertrag zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet.
Es verhandelt am 15. Dezember 2009 über die Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung – mit einem Ergebnis ist wohl erst im nächsten Jahr zu rechnen. Bis dahin wollen die Koalitionspartner laut Vertrag „Zugriffe zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit beschränken“. Diese Formulierung erlaubt einen großen Spielraum in der Auslegung.
Weit über 20.000 Menschen unterzeichneten Mitte Oktober den Offenen Brief von FoeBuD und der Kampagnenplattform Campact an die Verhandlungsführerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger mit dem Slogan „Bürgerrechte sind keine Verhandlungsmasse“. Der Brief wandte sich gegen Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, Onlinedurchsuchung und sprach sich für einen verbesserten Arbeitnehmerdatenschutz aus.
Rena Tangens vom gemeinnützigen Verein FoeBuD warnt im Gespräch mit Datenschutz PRAXIS aber vor einer pauschalen Verurteilung der zukünftigen Bundesjustizministerin.
„Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat in der Vergangenheit Rückgrat bewiesen“, so Tangens. „Ihr Rücktritt als Bundesjustizministerin im Jahr 1996, als sich ihre eigene Partei für den großen Lauschangriff ausgesprochen hatte, ist ihr hoch anzurechnen“, betont die Datenschutzaktivistin. Doch die Zukunft werde zeigen, ob die FDP wirklich für die Bürgerrechte stehe.
Zwar will sich die Koalition für das Thema Arbeitnehmerdatenschutz einsetzen und legt im Vertrag fest: „Hierzu werden wir den Arbeitnehmerdatenschutz in einem eigenen Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz ausgestalten.“ Ein eigenes Gesetz ist aber, entgegen anderslautender Pressemeldungen der letzten Tage, nicht geplant.
Die Koalitionspartner wollen zunächst für ein Jahr kinderpornografische Inhalte auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht sperren, sondern löschen. Nach einem Jahr soll der Erfolg dieser Maßnahme überprüft werden.
Von einem Ende der Internetsperren kann also nicht die Rede sein – diese Diskussion wird uns in einem Jahr wieder beschäftigen.
Die Koalitionspartner verpflichten sich auf ein hohes Datenschutzniveau. Der Vertrag kündigt an, eine „Stiftung Datenschutz“ einzurichten, die den Auftrag hat,
Auch der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, soll personell und sachlich besser ausgestattet werden.
Schaar schreibt dazu in seinem Blog: „Dies sind alles lobenswerte Vorhaben. Entscheidend wird sein, dass und wie sie umgesetzt werden. Zu hoffen ist dabei, dass sie nicht das trostlose Schicksal erleiden werden, das ähnliche Programmsätze in den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen von 1998 und 2002 fanden.“
Der Koalitionsvertrag ist offensichtlich ein Kompromiss, bei dem einige Abstriche beim Thema Datenschutz gemacht wurden. Immerhin widmet er sich umfassend dem Thema und schafft ein verbessertes Bewusstsein für den Wert des Datenschutzes.
Andrea Stickel
Weka Media, Kissing, 04. November 2009
Original: http://www.datenschutz-praxis.de/fachwissen/fachartikel/was-bleibt-von-den-wahlversprechen