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Kein Täter kann mehr sicher sein

Seit zehn Jahren werden in NRW Kriminelle mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks überführt. Nun schwärmen Kriminalisten, sie könnten noch viel mehr Delikte aufklären - wenn sie nur dürften

Endlich naht Gerechtigkeit - diese wenigen Worte sprachen die Angehörigen fünf ermordeter Frauen vergangene Woche. Denn am Mittwoch letzter Woche wurde im Aachener Landgericht der Prozess gegen den mutmaßlichen Sexualmörder Egidius Schiffer eröffnet. Er soll zwischen 1983 und 1990 mehrere junge Anhalterinnen vergewaltigt und ermordet haben. Für die Angehörigen blieb danach 20 bis 25 Jahre lang ungeklärt, wer ihre Tochter, Schwester oder Lebensgefährtin getötet hatte.

Bis zum August 2007, als Polizisten routinemäßig auf einem Heinsberger Schrottplatz DNA-Spuren aufnahmen, weil dort eingebrochen worden war. Diese Spur eines unbekannten Kleinkriminellen wurde in die bundesweite DNA-Spurendatei (DAD) eingegeben. Und plötzlich leuchteten dort die Lämpchen rot. Die Einbrecher-DNA stimmte überein mit der DNA-Spur, die an den Leichen der Anhalterinnen gefunden worden war. Und deshalb droht dem 51-jährigen Schiffer nun lebenslänglich.

Eigentlich müsste man auf solche Fahndungserfolge der DNA-Analyse anstoßen, hätten sie nur nicht so oft mit eingeschlagenen Schädeln, Vergewaltigungen oder zumindest schwerem Diebstahl zu tun. Weil aber mit der Inbetriebnahme der bundesweiten DNA-Spurendatei vor genau zehn Jahren (im April 1998) unbestreitbar eine Erfolgsgeschichte begann, feiern Kriminalisten von Landeskriminalamt (LKA) und Berufsverbänden diesen Jahrestag nun eben nicht mit Sekt, sondern mit einer Werbekampagne. Und die preist die großen Leistungen und noch viel größeren Chancen der Arbeit mit sogenannten genetischen Fingerabdrücken.

Vor allem aus drei Gründen halten Fahnder dieses Instrument für einzigartig: Erstens kann man eine DNA-Spur mit einer Wahrscheinlichkeit von 520 Millionen zu eins ausschließlich einem Menschen zuordnen. Zweitens kommt man damit in mehr Fällen denn je an die Identität eines Täters heran, weil fast jeder Kriminelle zumindest ein Haar oder Hautschüppchen am Tatort zurücklässt, aus dem die DNA-Struktur rekonstruiert wird.

Und drittens lassen sich mit dem genetischen Fingerabdruck auch vor Jahrzehnten begangene Verbrechen aufklären. Dazu muss nur ein einziges Haar oder Stück Haut konserviert worden sein. Folglich kann die Wunderwaffe beeindruckende Aufklärungszahlen präsentieren. Das nordrhein-westfälische LKA löste so seit 1998 über 11 000 Fälle. Konkret: 87 Morde, 214 Vergewaltigungen, 744 Raubstraftaten und 9 584 schwere Diebstähle. Diese Bilanz entlockt LKA-Chef Wolfgang Gatzke den Jubelruf, "kein Täter" könne "mehr sicher sein, dass er und seine Tatbeteiligung unentdeckt bleiben".

In der Tat kann nicht nur so manches Verbrechen gelöst, sondern auch manch unangenehmes Geheimnis aufgrund der DNA-Analyse gelüftet werden. So wurde 2004 ein Kölner Gelegenheitsarbeiter zu lebenslanger Haft verurteilt, der 13 Jahre zuvor eine Düsseldorfer Software-Managerin sexuell missbraucht und erwürgt hatte. Zuvor war der mehrfach vorbestrafte Sexualstraftäter aus der Haft entlassen worden, weil eine Gutachterin ihn zum "kalkulierbaren Risiko" erklärt hatte. Ohne DNA-Analyse wäre der gutachterliche Schnitzer nie herausgekommen.

Allein: Die Aufklärungsquoten könnten noch viel besser ausfallen, würde deutsches Recht den Anwendungsbereich der genetischen Fahndung nicht so eng begrenzen. Erst seit 2005 dürfen an Tatorten molekulargenetisch Spuren gesichert werden. Ebenfalls seit 2005 darf die Polizei auch den genetischen Fingerabdruck von schweren Straftätern wie Mördern und Vergewaltigern erzwingen. Dürften aber auch andere Verdächtige und Straftäter wie Einbrecher zum Rachenabstrich gezwungen werden, könnten ungleich mehr Fälle gelöst werden, klagt Rüdiger Thust vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW. Darin bestätigt ihn auch eine BKA-Studie. Ihr zufolge macht jeder dritte gesuchte Schwerkriminelle auch durch kleinere Straftaten wieder auf sich aufmerksam. Knapp 30 Prozent aller Vergewaltiger fallen wegen Diebstahls oder Körperverletzungen auf. Dürfte auch bei solchen leichten Fällen die DNA der Täter analysiert werden, wären sie umgehend ihres Kapitalverbrechens überführt. Nach geltender Rechtslage darf die Justiz ihre leichtkriminellen Verurteilten jedoch allenfalls um einen genetischen Fingerabdruck bitten.

Bestätigt fühlen die BDK-Kriminalisten sich auch durch den Fall des Frauen-Mörders von Aachen. Hätte er seine Speichelprobe nicht freiwillig abgegeben, hätte wohl kein Gericht ihn dazu zwingen können - und noch heute liefe er als freier Mann durch NRW. Deshalb fordern BDK und CDU-Innenpolitiker, jeder Straftäter und ernsthaft Tatverdächtige müsse zur Abgabe seines genetischen Fingerabdrucks gezwungen werden können.

Der Bielefelder Datenschutzverein "Foebud" beschwört angesichts von Forderungen nach einer "Volks-DNA" allerdings die Gefahr eines neuen "Techno-Totalitarismus". Datensätze auf Verdacht anzulegen bedeute eine Umkehr der Beweislast und damit einen Bruch rechtsstaatlicher Prinzipen.

Allerdings setzt diese Sichtweise voraus, dass der genetische Fingerabdruck als Beweismittel verstanden wird. Begreift man ihn, ähnlich einem Foto im Personalausweis, als Mittel zur Identitätsfeststellung, greift dieses Argument nicht. Weshalb die CDU denn auch fordert, den genetischen Fingerabdruck rechtlich mit einem gewöhnlichen Fingerabdruck gleichzustellen.

In der Union ist man trotz derzeit noch zögernder Koalitionspartner (der SPD im Bund und der FDP im Land) optimistisch, sich eines Tages durchzusetzen. Dazu seien die Erfolge der DNA-Analyse zu groß. Oder wann hätte man sonst jemals eine Meldung wie die der Düsseldorfer Polizei gehört? Sie schnappte vorvergangene Woche einen Sexualstraftäter elf Tage nach seiner Tat - überführt vom genetischen Fingerabdruck.

Till-r. Stoldt

Welt Online, Berlin, 27. März 2008
Original: http://www.welt.de/wams_print/article1942159/Kein_Tter_kann_mehr_sicher_sein.html

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