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Starostik gegen Elena

Der Staranwalt der Datenschützer: Meinhard Starostik reicht heute eine Massenklage beim Bundesverfassungsgericht ein

Der Mann, der die Bundesregierung das Fürchten lehrt, sitzt in einem schmucklosen Büro mit Blick auf den Berliner Lützowplatz. Meinhard Starostik verzichtet auf die Attribute eines erfolgreichen Anwalts. Statt teurer Anzüge trägt er Jacketts mit offenem Hemd. Sein Habitus erinnert mehr an Hans-Christian Ströbele als an Otto Schily, nur die grauen Haare fehlen. Der 60-jährige Starostik bringt die Regierung beim Datenschutz zur Weissglut: Heute reicht er beim Bundesverfassungsgericht eine Massenklage gegen Elena ein.

Starostik vertritt 22 000 Kläger und ist sich seiner Sache sehr sicher. Er geht davon aus, dass das 2009 vom Bundestag beschlossene Elena-Verfahrensgesetz der gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten wird, weil es nach seiner Ansicht die Privatsphäre von Arbeitnehmern verletzt. Schon vor einigen Tagen hat er zu einer Pressekonferenz an diesem Mittwoch in ein Hotel der Marriott-Gruppe nach Karlsruhe eingeladen, zu einem Spektakel, das er zum Höhepunkt einer Kampagne gegen das Sammeln von Arbeitnehmerdaten machen will. Mit der Klage möchte er verhindern, dass der "gläserne Bürger" vollends Wirklichkeit wird.

Für ihn ist der Ernstfall längst eingetreten: Seit 1. Januar sind die Arbeitgeber verpflichtet, sämtliche einkommensrelevanten Daten über ihre Beschäftigten an eine zentrale Speicherstelle bei der Deutschen Rentenversicherung zu übermitteln. Das Konzept geht auf einen Vorschlag der Hartz-Kommission und auf Forderungen der Wirtschaft zurück, die mit der papierlosen Datenlieferung 85 Millionen Euro im Jahr spart. Der Staat will Arbeitnehmern damit Schummelmöglichkeiten bei den Nebenverdiensten nehmen.

"Die Lohndaten von 40 Millionen Arbeitnehmern dafür bis ins letzte Detail zu speichern ist unverhältnismäßig", sagt Starostik und lehnt sich lässig in seinen Stuhl zurück. Zudem sei Elena gefährlich: "Anhand der Daten lässt sich nachvollziehen, wer welche Fehlzeiten hat. Ab Juli gilt dies auch für Abmahnungen und Kündigungsgründe."

Die Namen der Kläger, darunter sind Beamte, Richter und Soldaten, wurden Starostik von Bürgerinitiativen zugeliefert. In den vergangenen Wochen hatten die Arbeitskreise AK Zensur und AK Vorratsdatenspeicherung Vollmachten von Bürgern für die Klage gesammelt. Dabei machte der von Künstlern gegründete Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) mit. Er verleiht jedes Jahr den Big Brother Award, laut der französischen Tageszeitung "Le Monde" ein "Oskar für Überwachung". Die Initiativen fordern das Maximum: die vollständige Löschung der Daten.

Starostik ist kein Staranwalt, aber den Bürgerinitiativen für den Datenschutz gilt er gleichwohl als Star. Denn er ließ bereits die Vorratsspeicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten bei Telekom-Unternehmen sensationell vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Damit hat Starostik Rechtsgeschichte geschrieben. Das Urteil erregte bundesweit Aufmerksamkeit. Hinter der Massenklage, die damals von 35 000 Klägern getragen wurde, blieb er der Öffentlichkeit allerdings unbekannt. Für die neue Klage zitiert Starostik am liebsten einen Kernsatz der Karlsruher Richter, mit der sie die Vorratsdatenspeicherung am 2. März zu Fall brachten: "Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland."

Jetzt will Starostik die Politik erneut vorführen. Und seine Gegner wissen, mit wem sie es zu tun haben. Schon über das Urteil gegen die Vorratsdaten war Innenminister Thomas de Maizière (CDU) "nicht erfreut". Der Schäuble-Nachfolger befürchtet, dass als Folge des Karlsruher Spruchs die Internetkriminalität steigen könnte. Noch mehr würde sich der Minister ärgern, wenn er wüsste, welchen Hintergrund sein Kontrahent hat.

Der im nordrhein-westfälischen Marl geborene Starostik trat 1969 in die maoistische Sekte Kommunistischer Stundentenbund Marxisten Leninisten (KSB/ML) ein, die ein Ableger der KPD/ML war. Der Systemgegner wollte den Kapitalismus abschaffen. Aber das ließ sich der Staat nicht bieten. Die damals übliche Regelanfrage beim Verfassungsschutz versperrte ihm den Weg in den öffentlichen Dienst.

Nach dem juristischen Staatsexamen 1973 an der Ruhruniverstät Bochum konnte er die nächsten acht Jahre nicht Rechtsreferendar werden. Wäre es bei dem Berufsverbot geblieben, hätte er nicht Anwalt werden und somit auch nicht die Massenklage gegen Elena einreichen können. Dann würden die Politiker im Berliner Regierungsviertel jetzt wohl ruhiger schlafen.

Doch der Direktor des Instituts für Sozialrecht an der Uni Bochum erbarmte sich Starostiks und stellte ihn als Assistenten ein. "Dabei war das ein Wertkonservativer", wundert sich Starostik. Ihm verdankt er, dass es anschließend mit dem Referendariat und dem Anwaltsberuf doch noch geklappt hat.

"Als zorniger junger Mann war ich ein Glaubenskrieger", sagt Starostik. Jetzt sind für ihn die anderen die Glaubenskrieger, beispielsweise der frühere Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ihm haben Kritiker im Internet das Etikett "Stasi 2.0" verpasst. Das hält Starostik für überzogen. Die Gefahr kommt für ihn aus dem technischen Fortschritt: "Die Überwachungstechniken sind inzwischen doch viel besser als das, was die Stasi jemals aufbieten konnte."

Martin Lutz

Welt Online, Berlin, 31. März 2010
Original: http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/article6997608/Starostik-gegen-Elena.html

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