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Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen

Gastkommentar von Gerhart Baum beim FoeBuD

Von Blog of Ingo Jürgensmann | Vor ein paar Tagen hat der FoeBuD e.V. einen Gastkommentar von Gerhart Baum zum Themenkomplex Datenschutz auf seiner Webseite veröffentlicht. Dabei legt Baum mal wieder seinen Finger in einige Wunden im Bereich Datenschutz:

"Nach dem legendären Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein Grundrecht auf Datenschutz, die sogenannte informationelle Selbstbestimmung im Jahre 1983 festgelegt hatte, wurde Datenschutz in den letzten Jahrzehnten eher abgebaut nicht aufgebaut. Schon das Nichtstun führte angesichts der explosionsartigen Entwicklung der Kommunikationstechnologie zu einem Abbau. Auch ist der Staat mit schlechtem Beispiel vorangegangen durch zahlreiche Sicherheitsgesetze und Sicherheitsmaßnahmen, die in 14 Fällen vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben oder eingeschränkt wurden. Fakt ist: Die Sicherheitsbehörden sammeln immer mehr Daten, Daten unverdächtiger Bürger."

Man muss kein Datenschützer sein, um zu erkennen, daß Baum mit der Behauptung, der Datenschutz sei allein deswegen in den letzten Jahren seit dem Volkszählungsurteil schon abgebaut worden, weil die technische Entwicklung und die Datensammelei sich stärker als der Datenschutz entwickelt hätten. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß unser heutiges Datenschutzgesetz im Wesentlichen auf die Situation der 70er/80er Jahre mit seinen zentralen

Datenverarbeitungsmaschinen statt vieler einzelner Personal Computer basiert, dann muss man zweifelslos dieser Sichtweise zustimmen. Auch die vielen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts tragen dazu bei, diese Meinung zu verstärken.

Gerade umso mehr, als daß die Bundesregierung nach den Datenskandalen bei Telekom und Bahn eben kein starkes Datenschutzgesetz auf den Weg gebracht hat, sondern einen zahnlosen Papiertiger, nachdem die Lobbyisten mit den gut gemeinten Vorsätzen für eine Erneuerung durch waren.

Da Baum berechtigterweise anmerkt, daß der Staat nicht nur nicht für den Schutz unserer Daten sorgt, sondern auch selber fleißig dabei ist, Daten über uns zu sammeln, fährt Baum entsprechend fort:

"Blickt man auf das gesamte Problemfeld, also das der staatlichen wie der privaten Datenverarbeitung, ist die Lage so brisant wie nie zuvor. In seiner Rede zur Theodor-Heuss-Preisverleihung im April 2008 fasste Spiros Simitis, einer der Datenschutzpioniere in unserem Land, die Situation wie folgt zusammen:

"Nahezu jede personenbezogene Angabe wird heute gesammelt und gespeichert. Früher für selbstverständlich gehaltene Speicherungsgrenzen sind endgültig entfallen. Die Verarbeitungstechnologie schafft alle Voraussetzungen für multifunktionale Verwendung und systematische Vernetzung der Datenbestände. Auch die Trennung öffentlicher und privater Datenbanken schwindet dahin."

Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, spricht in seinem Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung von der Gefahr, dass wir zu "digitalen Schattenrissen" werden, also umfassende "digitale Menschenprofile" die Zukunft sein werden – der Mensch wäre also nur noch "ein Bündel von Merkmalen und Kategorien". Er ist aber mehr als die Summe seiner Daten. Dass man dies betonen muss, zeigt wohin wir bereits geraten sind.

Es reicht eben nicht mehr, den einzelnen auf seine Datenherrschaft zu verweisen also, auf sein Selbstbestimmungsrecht. Er hat es in vielen Fällen überhaupt nicht, denn er weiß nicht, welche Spuren er hinterlässt und was mit diesen geschieht."

Die Bundesregierung hat eben unter dem Druck der Datenhandel-Lobby keine Opt-In-Regelung mit entsprechender Zustimmung zum Handel mit Daten umgesetzt, sondern bleibt im wesentlichen bei einer Opt-Out-Lösung wie bisher.

Daß dies kein Fortschritt ist, muss man nicht extra betonen. Und so werden immer mehr Daten gesammelt und miteinander verknüpft und der einzelne Bürger weiß schon gar nicht mehr, wer welche Daten woher über ihn bezogen, gespeichert und verarbeitet hat, noch an wen diese Daten alle weiterverkauft wurden.

Kaum ein normaler Bürger würde auf den Gedanken kommen, daß seine Bewegungsdaten anhand seines eingeschalteten Mobiltelefons für den Staat und einige andere Institutionen bis zu einem halben Jahr zurückverfolgbar sind. Beim allem, was der Bürger in dieser vernetzten und computerisierten Welt tut, hinterläßt er praktisch überall Spuren, von denen er nicht einmal ahnt, daß sie vorhanden sind.

Aus diesem Grund, so Baum, reicht es eben auch nicht mehr, einfach darauf zu pochen, dass meine Daten mir gehören, sondern man muss einen Schritt weitergehen und aktiv dafür sorgen, daß man a) sein informationelles Selbstbestimmungsrecht aktiv einfordert und b) Datensparsamkeit und -askese übt. Baum postuliert dies so:

"Ein weiteres wichtiges Feld ist die Bewahrung der Grundrechte im Internet. [...] Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen – auch durch Datensparsamkeit und Datenaskese. Alles in Allem: Ich plädiere seit langem für eine Bürgerbewegung zum Schutze der durch Art. 1 des Grundgesetzes geschützten Privatheit. Ich plädiere für eine Datenschutzbewegung nach dem Vorbild der erfolgreichen Umweltbewegung. In der letzten Zeit hat sich gezeigt, dass doch zahlreiche vor allem auch jüngere Menschen sich gegen Elemente des Überwachungsstaates und der Überwachungsgesellschaft wenden. Diese Chance sollte jetzt genutzt werden."

Der Begriff der Selbstverteidigung mag auf den ersten Blick aggressiv und gewaltätig klingeln, dennoch ist es nur die Ausprägung dessen, wozu die Grundrechte im Grundgesetz gedacht sind: als ein Mittel der Bürger, um sich vor Auswüchsen des Staates schützen zu können. Deshalb stehen die Grundrechte (Art. 1 bis Art. 19) im Grundgesetz auch unter einem entsprechend starken Schutz.

Doch bedarf es natürlich auch eine gesellschaftlichen Bewegung, die diese Grundrechte einfordert. Denn nur ein gelebtes Grundrecht ist ein Grundrecht, auf das man sich berufen kann. Insofern ist, wie Baum sehr richtig erwähnt, eine Datenschutzbewegung notwendig, die sich für die Wahrung der Grundrechte, wie eben z.B. das Grundrecht auf Privatheit, Freiheit, Bürgerrechte, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung, von der Politik einfordert und diese somit gegenüber dieser verteidigt.

Doch es reicht nicht, wenn nur jüngere Menschen dies tun. Die Datenschutzbewegung muss ähnlich breit in allen Bevölkerungsschichten der Gesellschaft verankert werden wie einst die Umweltbewegung. Nur so können wir unsere Freiheiten selber verteidigen, denn die Gefahr geht nicht von ominösen Terroristen oder einem Stasi-Spitzel aus, der einem im Trenchcoat folgt und die Nachbarn aushorcht, sondern von einem Staat und der Privatwirtschaft, die immer mehr Datenquellen, die früher einzeln für sich standen, miteinander verknüpft und so den gläsernen Bürger im Sinne Orwells schafft.

Mag sein, daß die Gefahr dessen nicht unmittelbar bevorsteht und dies auch gar nicht von den beteiligten Datensammlern in Staat und Wirtschaft beabsichtigt ist, aber sie besteht zweifelslos und es bedarf jetzt der Antrengung aller, eben diese Gefahr zu bannen und den gläsernen Bürger zu verhindern. Dazu, so Baum, bedarf es eben Gesetze, aber auch Bürger, die entsprechende Gesetze einfordern und sich auf ihre Grundrechte berufen.

P.S.: Im Übrigen kann man sich auch für seine Freiheit und Grundrechte einsetzen, indem man z.B. den FoeBuD e.V. mit einer großzügigen Spende oder einer Fördermitgliedschaft unterstützt!

Womblog Niederelbert, 25. Januar 2010
Original: http://womblog.de/2010/01/25/foebud-wir-mssen-zur-selbstverteidigung-bergehen-gastkommentar-von-gerhart-baum/

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