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Widerliche Zeit

Widerliche Zeit der Terrorangst. Gerade noch verhinderte Anschläge in London, nur durch Zufall nicht detonierte Bomben in Regionalzügen, der Kieler Hauptbahnhof gesperrt.

Widerlich aber auch, wie die Terrorangst schon jetzt genutzt wird, um die Gesellschaft zu deformieren. Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten lassen sich jetzt geschmeidiger kommunizieren. Mehr Videoüberwachung wird gefordert. Als ob eine Kamera zur Sicherheit beitrüge! Falls es das Ziel der Terroristen ist, die Offene Gesellschaft zu beseitigen – ihre Helfershelfer sitzen in Amtsstuben und Redaktionen.

ZEIT online hat jetzt gerade die Meldung von der Sperrung des Kieler Hauptbahnhofes gleich zwei mal an exponierter Stelle auf der Startseite.

Und gestern erst wurden hier Bilder aus Videoaufnahmen veröffentlicht, die augenscheinlich das BKA zur Verfügung gestellt hat. Im Gegensatz zum Bild auf der Startseite sind darauf zwei Männer mehr oder minder deutlich zu erkennen. Ihre Gesichter werden gezeigt. Nach ihnen wird gefahndet, eine Belohnung ist ausgesetzt.

Ist es nötig, diese Bilder zu publizieren? Falls es um Unterstützung der Fahndung ging – dann fehlt der Link auf das Bundeskriminalamt, denn dort ist weiteres Material veröffentlicht.

Andererseits aber: solange jemand nur verdächtigt wird, gilt für ihn die Unschuldsvermutung. Und gerade dann, wenn jemand verdächtigt wird, müssen seine Persönlichkeitsrechte peinlichst beachtet werden. Auch und gerade von der Presse. Es wäre nicht das erste mal, dass jemand, der zu Unrecht verdächtigt wird, sein Leben lang daran zu tragen hat.

Es riecht sehr danach, dass es bei der Auswahl dieses Bildes nur darum ging, einen “Hingucker” im Blatt zu haben. Und das wäre ein schwerer Fehltritt. Der Artikel von gestern trägt das Copyright “ZEIT online, Tagesspiegel | 18.08.2006 15:53“, was merkwürdig genug ist. Die Bilder tragen das Copyright “BKA / dpa”, der Artikel ist gezeichnet mit “tso/ddp”. Falls das Bild ursprünglich aus dem Tagesspiegel stammt, hätten die Redakteure von ZEIT online sich ruhig etwas kritischer fragen sollen, ob sie es übernehmen.

Vielleicht zeigt sich hier auch eine gewisse Entscheidungslosigkeit, die in der journalistischen Produktion begründet liegt: Bilder vom BKA, verbreitet durch dpa. Textvorlage von ddp. Artikel im Tagesspiegel, Übernahme durch ZEIT online (so reime ich mir jedenfalls die Entstehung zusammen).

PS: Etwas Hintergrundinformation:

Videokameras tragen nicht zur Sicherheit bei. Trotzdem wird der öffentliche Raum immer mehr mit diesen Geräten verwanzt. Das wird viel zu wenig diskutiert. Entgegen allgemeiner Vorstellungen sind versteckte Kameras nicht selten

Von Marc Roessler stammt ein interessantes Papier dazu: “How to find hidden cameras?” Auf 36 Seiten (264 KB) stellt er verschiedene Typen und Funktionsweisen der Kameras vor, beschreibt die üblichen Verstecke der immer kleiner werdenden Kameras und diskutiert die Moeglichkeiten, die Spione zu finden. Bemerkenswert ist auch das umfangreiche Quellenverzeichnis.

Die fortschreitende Überwachung des öffentlichen Raumes (der dadurch kein Freiraum mehr ist), wurde letztes Jahr durch den BigBrotherAward, den Negativpreis für Datenkraken, angeprangert. Am 20. Oktober werden die diesjährigen Preise vergeben. In diesen Tagen erscheint das Schwarzbuch Datenschutz, herausgegeben von den Machern des Preises.

Onkel Brumm

Die Zeit, Hamburg, 19. August 2006
Original: http://blog.zeit.de/meckern/?m=200608

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