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Handy-wechsel-dich

Wer eine Handykarte kauft, muss seine Identität preisgeben. Über eine Handykarten-Tauschbörse kann man jedoch anonym telefonieren. Teil 5 der Serie: Datenkraken stoppen!

Handy-Besitzer sind für staatliche Behörden transparent wie Glas: Weit über drei Millionen mal im Jahr greifen Verfassungsschützer, Zollämtern, Finanzbehörden und andere Dienststellen auf die Kundendaten der Telefon-Unternehmen zurück.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat), ein nach eigenen Worten „bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern“, will das System jetzt auf subversive Weise austricksen: Er hat eine Tauschbörse für Handykarten gegründet.

„Es ist eine typisch deutsche Idee, dass man Straftaten aufklären kann, indem man Handy-Besitzer zu einer Registrierung zwingt“, sagt Patrick Breyer, einer der Initiatoren. Dem Juristen ist ein entsprechendes Gesetz aus dem Jahre 2004 schon lange ein Dorn im Auge. Mobilfunkbetreiber sind dadurch verpflichtet, die Identität jedes Kunden festzustellen, bevor ein Handy freigeschaltet wird. Bereits 2005 hat Breyer Verfassungsbeschwerde dagegen eingelegt – eine Entscheidung ist auch in den nächsten Monaten nicht zu erwarten.

Um wieder anonymes Telefonieren zu ermöglichen, hat der AK Vorrat nun das Projekt Kartentausch gestartet. Das Prinzip ist einfach: Wer anonym telefonieren will, besorgt sich ganz normal eine Prepaid-Karte für sein Handy und schickt diese an den Arbeitskreis. Wenige Tage später erhält er die Karte eines anderen Tauschwilligen - und kann sofort lostelefonieren. Man telefoniert quasi unter einer geliehenen Identität. Wessen Karte man in seinem Handy hat, erfährt man nicht – diese Informationen will der Arbeitskreis nicht weitergeben. Auf Wunsch bekommen die Kartentauscher eine Bescheinigung, dass sie die Handykarte getauscht haben. Der Kartentausch selbst ist legal. Die Verpflichtung zur Registrierung der Kundendaten besteht lediglich bei Neuverträgen.

Ganz risikofrei ist der Kartentausch allerdings nicht: Ermittelt die Polizei gegen einen der Projektteilnehmer, kann es passieren, dass die Gespräche seines Tauschpartners abgehört werden. „Ich halte dieses Risiko aber für gering“, erklärt Breyer auf Anfrage. Er glaubt nicht, dass sich Kriminelle an dem Projekt beteiligen. Die würden sich fremde SIM-Karten auf anderen Wegen besorgen.

Auch völlige Anonymität kann der Kartentausch nicht bieten. Denn seit Jahresanfang ist das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Mobilfunkanbieter müssen künftig nicht nur abspeichern, von welcher Mobilfunk-Telefonnummer aus Gespräche geführt werden. In den Datenbanken wird auch genau verzeichnet, wo sich der Anrufer befindet. Dazu wird die 15-stellige IMEI-Nummer übermittelt, die jedes Handy identifiziert. Wer sich der Vorratsdatenspeicherung entziehen will, muss schon das Handy wechseln. Und selbst dann gibt es keine absolute Sicherheit: Über sogenannte IMSI-Catcher können Polizei-Behörden sämtliche Telefongespräche im Umkreis abfangen.

Dennoch muss die Aktion des AK nicht wirkungslos bleiben. „Es geht hier um den Schutz der Kundendaten“, erklärt Breyer. „Strafbehörden greifen zehn Mal so oft auf die Kundendaten zu als auf die Verbindungsdaten.“ In der Tat sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Abfrage viel niedriger. Die Ermittler brauchen keinen Richterbeschluss: Die Anfrage wird automatisch über die Bundesnetzagentur weitergeleitet. Die Ermittler erhalten problemlos Daten wie Name und Anschrift eines Anschlussinhabers. Laut Tätigkeitsbericht der Behörde geschah das im Jahr 2006 insgesamt 3,6 Millionen Mal. Fünf Jahre zuvor waren es gerade mal 1,5 Millionen Abfragen. Will die Polizei hingegen wissen, wer von wo mit einer bestimmten Karte telefoniert hat, muss sie einen richterlichen Beschluss vorlegen.

Der Erfolg der Kartentauschbörse wird sich nicht an der Zahl der eingetauschten Karten messen lassen. Breyer erwartet, dass in den nächsten Monaten maximal einige hundert Handy-Karten ihren Besitzer wechseln. Denn bereits registrierte Karten kann man sich schon lange an zahlreichen Stellen besorgen – sei es auf dem Flohmarkt, bei eBay oder über Mittelsmänner im Bekanntenkreis. Einige Mobilfunkbetreiber, etwa Aldi Talk, lassen auch eine Registrierung über das Internet zu – gibt man im Online-Formular irgendeine existierende Adresse an, gibt es meist keine Probleme.

Der tiefere Sinn der Aktion ist politisch. Für den Netzaktivisten Padeluun, ebenfalls im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung engagiert, gehört das Projekt zur „Politik der kleinen Nadelstiche“. Mit einer ähnlichen Aktion hatte der Netzkünstler bereits vor einigen Jahren für Aufsehen gesorgt: Der Verein FoeBuD kopierte eine Rabattkarte des Anbieters Payback – Hunderte von Sympathisanten konnten daraufhin unter einer gemeinsamen Identität einkaufen.

„Wir haben das System nicht boykottiert, sondern gezeigt, was man damit machen kann“, sagt Padeluun heute. Mit der Aktion konnte der Verein die Verbreitung der Rabattkarten zwar nicht verhindern; er sorgte jedoch für etwas mehr Bewusstsein hinsichtlich der Daten, die tagtäglich von den Kunden gesammelt werden.

Ähnlich ist die Motivation für das Projekt Kartentausch. Denn obwohl gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung längst eine Verfassungsklage läuft, setzen die Bürgerrechtler lieber auf Einsicht als auf Zwang. „Wenn die Vorratsdatenspeicherung durch einen politischen Beschluss zu Fall käme, wäre uns das lieber als ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts“, sagt Padeluun.

Torsten Kleinz

Die Zeit, Hamburg, 16. Januar 2008
Original: http://www.zeit.de/online/2008/03/handykartenboerse?page=all

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