Das Netz sei die fünfte Macht im Staat, sagt der Netzkünstler und Datenschützer padeluun im Interview. Jeder könne seine Meinung sagen – eine Chance für die Politik.
ZEIT ONLINE: padeluun, Sie sind als Experte Mitglied der Internet-Enquete-Kommission, was glauben Sie, wohin will die Bundesregierung das Netz entwickeln?
padeluun: Das weiß keiner so genau. Nach Ignorieren und lächerlich machen und Bekämpfen ist nun anscheinend das Umarmen des Internets angesagt. Das reicht natürlich nicht, es muss darum gehen, gemeinsam eine Netzpolitik zu gestalten. Noch ist das nicht der Fall. Aber vielleicht wird es – auch durch den Dialog und durch diese Umarmung – dazu kommen, dass wir vernünftig miteinander umgehen und daran arbeiten.
ZEIT ONLINE: Ist die neue Offenheit des Innenministeriums nur eine Strategie, damit das Gemecker aufhört, die Politik ignoriere das Netz?
padeluun: Es ist ganz sicher eine solche Strategie. Zumindest hat sie alle entsprechenden Merkmale.
ZEIT ONLINE: Welche beispielsweise?
padeluun: Es ist immer noch die gleiche Rhetorik, die dort zu hören ist. Alles wird unkonkret formuliert. Und für mich zeigt sich an vielen Stellen, dass die Haltung sich nicht geändert hat: Wir sind die Verwaltenden, wir sind die Kontrollierenden, wir sind die, die gewählt sind und Macht haben und wir wollen eingreifen können, wenn es uns passt. Diese Drohkulisse steckt immer noch dahinter.
Ich sehe auch nicht, dass die eigentlichen Probleme angegangen werden. Thomas de Maizière sagte ja selbst an einer Stelle seiner Rede, dass er noch nicht sicher sei, ob er schon genug darüber nachgedacht hat. Nein, hat er nicht. Wir müssen uns erarbeiten, wie wir ein für alle funktionierendes Netz bauen können. Eigentlich erwarte ich von der Politik, dass sie Forschung finanziert, dass sie Möglichkeiten schafft, damit wir uns eine Netzpolitik erarbeiten können.
Ein Beispiel: Wir müssen darüber nachdenken, wie sich digitales Bargeld schaffen und einsetzen lässt. Nur dann besteht die Möglichkeit, dass ich – ohne dass es jemand mitbekommt – einen Artikel lesen und dafür bezahlen kann.
ZEIT ONLINE: Anonymes Geld wie in der stofflichen Welt, also?
padeluun: Genau. Der Mensch, der etwas kauft, muss sich damit nicht zu erkennen geben und der Verkäufer muss trotzdem sicher zu seinem Geld kommen. Es ist nicht schlimm, dass jemand weiß, dass ich Kaffee gekauft habe. Doch muss uns auch klar sein, dass man Daten zur Manipulation einsetzen kann, wenn sie erst einmal da sind.
ZEIT ONLINE: Ist nicht die Enquete-Kommission des Bundestags ein Gremium, um genau diese Probleme zu besprechen?
padeluun: Die Enquete schürt natürlich diese Hoffnung. Aber wenn ich mir das tatsächliche Vermögen der Kommission ansehe und die Überforderung, die mit der Arbeit dort einhergeht, habe ich Zweifel. Man versucht dort, mit Kleingeld etwas hinzubekommen. Sie ist dafür da, eine Bestandsaufnahme zu machen und Fragen zusammenzustellen. Die eigentliche Arbeit muss darüber hinausgehen. Ein Ergebnis der Kommission sollte daher sein, dass wir sehr viel Geld investieren müssen, um die digitale Gesellschaft zu gestalten.
ZEIT ONLINE: Ich habe das Gefühl – auch nach der Rede des Innenministers –, dass in der politischen Debatte immer noch die Angst vor dem Netz und seinen Beteiligungsmöglichkeiten dominiert. Wie ist Ihr Eindruck?
padeluun: Ich sehe eine große Angst vor der Tatsache, dass nun alle Menschen die Möglichkeit haben, zu senden, Angst davor, dass sie das Zeug, was sie im Kopf haben, weitflächig verbreiten können. Diese Angst taucht immer wieder auf, beispielsweise in Worten wie "elektronischer Radiergummi". Mir scheint, dass Politiker sich dadurch in die Ecke getrieben sehen. Im Netz herrscht beispielsweise beim Thema Netzsperrgesetz die Meinung vor, man habe dank der neuen Möglichkeiten ein schlechtes Gesetz verhindert. Ich glaube, in der Politik ist man eher der Ansicht, dass einige Großmäuler dank des Internets ein gutes Gesetz verhindert haben. Es regiert sich eben viel besser, wenn Kritik nicht wirksam verbreitet werden kann. Aber diese Zeit ist vorbei. Das Netz ist die fünfte Macht im Staat.
ZEIT ONLINE: Bei der öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission sagten Sie, sie sähen Bestrebungen, aus dem Medium Internet ein neues Fernsehen zu machen, mit Konsumenten auf der einen und ausgewählten Sendern auf der anderen Seite. Wie kommen Sie zu dieser Sorge?
padeluun: Der Aufbau der Netze in Deutschland folgt genau diesem Schema. Der erste Internetzugang hierzulande hieß BTX. Dort konnten anfangs 1200 Bit pro Sekunde an den Kunden übertragen werden, der aber durfte nur mit 75 Bit pro Sekunden senden. Dieses asynchrone Datenverhältnis haben wir bei DSL nun wieder. Dahinter steht die Haltung, dass Konzerne Waren anbieten und Kunden diese konsumieren. Die Haltung geht gar nicht davon aus, dass Menschen sich wirklich einbringen wollen. Sie geht davon aus, Menschen wollten nur glotzen und sonst nichts.
Dabei ist das Gegenteil der Fall. Es ist doch fantastisch, dass aus lauter politophobischen Menschen inzwischen ein breiter Strom von Interessierten geworden ist, der teilnehmen will und der den Unterschied kennt zwischen einer Verfassungsbeschwerde und einer Onlinepetition und damit auch umgehen kann. Die Menschen machen damit doch genau das, was die Politik immer gefordert hat: Sie beteiligen sich.
ZEIT ONLINE: Sie glauben also, dass das Internet die gesamte Gesellschaft offener und demokratischer machen kann?
padeluun: Ja, weil dank dessen mehr Menschen miteinander reden und ihre Meinungen abgleichen müssen. Und dabei lernen, dass tausend Meinungen toll sind, aber irgendwie koordiniert werden müssen, wenn man letztlich eine Entscheidung fällen muss. Was kann besser sein, für eine abgewogene Entscheidung, als wenn viele senden und mitdiskutieren können?
ZEIT ONLINE: Warum empfängt Politik dann das Netz nicht mit offenen Armen?
padeluun: Es gibt ein großes Beharren in alten Strukturen, die sich bewährt haben. Und ein so großes Schiff wie den Bundestag in eine neue Richtung zu lenken, ist nicht einfach. Aber es ist notwendig. Wenn wir die Möglichkeiten, die das Netz bietet, nutzen wollen, muss sich auch im Bundestag noch viel verändern.
Vielleicht sollten wir auch unsere Regierung umbenennen in eine Koordinierung – damit der Anspruch deutlicher wird, dass die Aufgabe einer Regierung das Moderieren ist. Sie ist dazu da, dass wir unser Leben koordiniert bekommen. Vielleicht sollten wir uns daher von dem Wort regieren verabschieden.
Kai Biermann
Zeit Online, 28. Juni 2010
Original: http://www.zeit.de/digital/internet/2010-06/padeluun-netzpolitik