Von Florian Breunig
Zamir ist serbokroatisch und bedeutet "für den Frieden". Als 1991 die
Kriegsgegner und Menschenrechtsgruppen in Ex-Jugoslawien begannen,
sich zu organisieren, stießen sie auf massive technische
Kommunikationsprobleme. Der Krieg, der in Kroatien ausgebrochen war,
hatte die herkömmlichen Nachrichtenkanäle zerstört. Nicht nur, daß es
unmöglich geworden war, von Kroatien nach Serbien zu reisen, auch die
Post- und Telefonverbindungen zwischen den beiden Republiken waren
weitgehend unterbrochen. Zagreb und Belgrad waren praktisch voneinander
abgeschnitten.
Der Traum. Nur zu Nachtzeiten kamen auf den wenigen, überlasteten
Leitungen, die übrig waren, Verbindungen zustande. Einzig die
Telefonverbindungen ins Ausland waren erstaunlicherweise erhalten
geblieben. Die Kommunikation mit Modems und Computern Müßte daher
funktionieren, fand Eric Bachman, Online-Spezialist von der Bielefelder
Bionic-Mailbox. Also brach Bachman 1991/92 von Ostwestfalen aus in dfas
Kriegsgebiet auf und machte sich an die Errichtung des Zamir-Netzes. Die
Friedensgruppenin Jugoslawien erhielten von ihm Modems, und Bachman
gelang es, zunächst eine Verbindung zwischen dem bestehenden AdriaNet
und dem britischen GreenNet aufzubauen.
Die Wirklichkeit. Heute überziehen sechs Zamir-Mailboxen das ehemalige
Jugoslawien: in Belgrad, Zagreb, Ljubljana, Pristina, Sarajevo undTuzla.
Hochwertige Modems erlauben - trotz schlechter Leitungsqualität - bis zu
zwölfmal täglich einen Datenaustausch zwischen den Systemen. Unterbrechungsfreie Stromversorgungen überbrücken häufige Stromausfälle.
Florian Breunig
Das Zamir-Mailboxnetzwerk ist der erste erfolgreiche Versuch des Projekts
"Communication Aid", mit moderner Kommunikationstechnik im Jugoslawienkrieg
der Menschlichkeit zu dienen. Eine Reihe von Gruppen und Freiwilligen tragen das
Projekt, voran das Zentrum für Kultur und Frieden in Ljubljana, das deutsche
Zerberus-Mailboxnetz (www.zerberus.de) mit den DFÜ-Legenden padeluun und
Rena Tangens von der Bielefelder Bionic-Mailbox, GreenNet (London), Link-ATU
(Wien), APC, CL-Netz und andere. Finanzielle Unterstützung erhalten sie u.a. von
internationalen Menschenrechtsgruppen.
Die 18jährige Dragica ist eines der ungezählten Opfer des Bürgerkriegs. Ihre
Eltern, mit denen sie im moslemischen Teil Sarajevos lebte, wurden von
marodierenden Soldaten umgebracht. Sie selbstwar dem Terror nur entkommen,
weil sie einem der Soldaten gefiel. Zwei Ärztinnender Frauenhilfsorganisation
Medica-Zenica lasen sie in einem Flüchtlingslager in Putovic auf, in dem sie viele
Monate verbracht hatte. Über Zamir-Net hat Dragica wieder Kontakt zu
Menschen gefunden, denen sie vertraut. Mit ihrer Freundin Kristina, die nach
Kriegsausbruch nach Schweden geflohen war, tauscht sie regelmäßig
elektronische Briefe aus. Dasgebe ihr wieder Hoffnung, sagt sie. Irgendwann will
sie vielleicht auch nach Schweden, wie Kristina, denn sie glaubt nicht an den neuen
Frieden in ihrer Heimat
Wam Kats Kriegstagebuch und einige andere Beiträge aus dem Zamir-Netz sind
regelmäßig in den Internet-Newsgroups soc.culture.yugoslavia,
soc.culture.croatia und soc.culture.bosna-herzgvna zu finden.
Über Geschichte und Hintergründe des Zamir-Netzwerks gibt das Buch "Mailbox
auf den Punkt gebracht" (ISBN 3-9802182-6-0, 42 Mark) detailliert Aufschluß. Es
ist über den Buchhandel oder direkt beim FoeBuD e.V., Marktstr. 18, 33602
Bielefeld, gegen Einsendung eines Verrechnungsschecks über 47 Mark (inclusive
Porto) erhältlich.
Kontakt-Telefon 0521-175254, Modem: 0521-68000.
Com! Mai 1996
Friedensbotschaft aus dem Netz
E-Mail im Balkan
Zusammen mit Wam Kat, einem niederländischen Freiwilligen, entstanden
im Juli 1992 zwei weitere Mailboxen in Zagreb und Belgrad - Zamir-ZG und
Zamir-BG. Ein alterLaptop mußte zunächst genügen. Als Knoten
zwischenden beiden Rechnern diente die Bielefelder Bionic, die über das
Zerberus-Netz die Internet-Anbindung bereitstellte. Damit war nicht nurder
Nachrichtenaustausch zwischen den beiden Städten, sondern mit der ganzen
Welt.
Nachrichten, die über das ZTN versendet werden, treffen innerhalb von zwei
bis vier Stunden beim Empfänger ein. Zamir steht heute allen
friedensorientierten Personen und Gruppen offen, humanitären
Organisationen ebenso wie unabhänigen Medien und Berichterstattern, die
mit dem Projektziel - der Verständigung zwischen den Völkern
Jugoslawiens - konform gehen. Es hilft Menschen und Familien, die der
Krieg auseinandergerissen hat, wieder in Kontaktzu kommen. In ganz
Bosnien trotzen heute mehr als 500 Internet-Benutzer so der serbischen
Kommunikationssperre.
Eine der Gruppen, die Zamir für ihre humanitäre Arbeit nutzen, ist die
Frauenhilfsorganisation Medica-Zenica. "Wir wickeln fast unsere gesamte
Organisation und Logistik über das E-Mail System von Zamir ab. Fast alle
Bestellungen für Lebensmittel und Medikamente laufen überdas Netz", sagt
Birgit Abel vom Kölner Medica-Büro.
Für Zamir geht der Kampf ums Überleben weiter. Obgleich seit vergangenem
Jahr von den Benutzern in Belgrad und Zagreb Gebühren erhoben werden,
decken diese bei weitem nicht die monatlichen Betriebskosten von zehn- bis
zwölftausend Mark. Und vor allem in Bosnien, wo der Krieg nicht nur das
Land, sondern auch die Wirtschaft zerstört hat, ist nicht daran zu denken,
daß Zamir sich aus eigener Kraft finanziert.
So ist das Projekt Zamir nach wie vor auf Spenden aus dem Ausland
angewiesen, um im ehemaligen Jugoslawien das zu ermöglichen, was nicht
nur in den Staaten Europas seit über zweihundert Jahren als Grundrecht
aufgefaßt wird: das Recht auf freie Rede und Information.
Communication Aid: Ein Projekt setzt sich durch
Dragica aus Sarajevo: "Hoffnung schöpfen aus dem Netz"
Lektüre-Tip: Kriegstagebuch und Mailboxtips