Von Julia Mahlmann
Bielefeld. "Viele Leute glauben noch immer, daß Computer nur Spielkram sind", empört sich Rena Tangens vom Verein zur Förderung des öffentlichen Bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD): "Aber Computer machen Kommunikation möglich, und das auch in Krisengebieten." Das Computernetzwerk ZaMir mit seinem Knotenpunkt in einem Keller an der Marktstraße in Bielefeld hält die Verbindung zu fünf Städten im ehemaligen Jugoslawien, auch wenn das Postsystem dort längst zusammengebrochen ist und viele Telefonleitungen gekappt oder zerstört sind.
Die Bionic-MailBox (zu deutsch Postfach) des FoeBuD sorgt dafür, daß die Menschen in Zagreb, Sarajevo, Belgrad, Pristina und Ljubljana nicht in Vergessenheit
geraten. Der Name des Computernetzes, ZaMir, bedeutet auf serbisch, kroatisch und bosnisch "für den Frieden".
Über ZaMir tauschen humanitäre Organisationen aus allen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens Erfahrungen aus und arbeiten über die Fronten hinweg zusammen.
Freunde und Nachbarn, die der Krieg getrennt hat, nehmen wieder Kontakt auf. Flüchtlinge hoffen, per Suchmeldung mit dem Computer ihre vermißten Familienmitglieder
wiederzufinden.
Modernste Technik macht die Kommunikation über Grenzen und Fronten möglich. Zwar ist die Telefonverbindung zwischen Belgrad und Zagreb unterbrochen, doch aus
beiden Städten kann man noch ins Ausland telefonieren. So stehen in einem unscheinbaren Keller in der Bielefeider Marktstraße die 14 Computer der Bionic-Mailbox, die
Jugoslawien mit der Welt verknüpfen.
Jede Mailbox kann mit einem Modem an eine Telefonleitung angeschlossen werden und dann zu anderen Mailboxen Kontakt aufnehmen. Der Computer ist auf eine direkte Verbindung nicht angewiesen, sondern kann Informationen auch über beliebig viele Zwischenstationen weiterreichen. Rena Tangens erklärt, wie der
Datenaustausch abläuft: "Unsere Mailbox arbeitet fast wie die Post. Jede Stunde ruft sie bei jeder einzelnen Mailbox in Jugoslawien an, und holt sich dort ein Datenpaket
ab. Das Päckchen wird zerlegt, und die einzelnen Nachrichten werden sortiert und zu neuen Paketen an andere Mailboxen weiterverpackt. Beim nächsten Anruf schicken
wir unsere Informationen dann weiter."
Dieses System heißt "store and forward" (sammeln und weiterleiten). Es hat gegenüber der Standleitung, bei der jede Nachricht sofort weitergegeben wird, den großen
Vorteil, daß es Geld spart. Trotzdem flattert dem FoeBuD monatlich eine Telefonrechnung über mehrere tausend Mark ins Haus. Diese übernimmt eine Prager Stiftung für
Friedensarbeit in Europa. Bei der Finanzierung der Hard- und Software greift dem FoeBuD die Stiftung des amerikanischen Wertpapierfürsten George Soros unter die
Arme. Sie ist auch der Arbeitgeber Eric Bachmanns, der beim FoeBuD alles über elektronische Kommunikation gelernt hat und seit 1991 ZaMirs Mailboxen in
Jugoslawien installiert.
Für mehrere tausend Menschen in Ex-Jugoslawien ist ZaMir der rettende Draht zur Welt. Doch ihre Nachrichten werden nicht nur zurück in die Krisengebiete geschickt,
sondern in das internationale Mailbox-Netz APC (Association for Progressive Communications) eingespeist, wo sie weltweit jedem User (Benutzer) zum Ortstarif und
gegen eine Nutzungsgebühr von 15 Mark monatlich zugänglich sind.
In ZaMirs öffentliches Nachrichtensystem können sich auch die Bielefelder einklinken. "Da findet man Nachrichten, die mit denen der Agenturjournalisten nicht viel
gemeinsam haben", schildert Rena Tangens. Vor allem das Tagebuch des holländischen Friedensarbeiters Wam Kat hat es ihr angetan. Wenn er vom Kriegsalltag in
Zagreb schreibt, wirft das bei Rena Tangens viele Fragen auf. Hier kann sie die Vorteile der elektronischen Kommunikation nutzen. Wie im normalen Briefwechsel kann
nämlich jeder User Rückfragen und Kommentare zu den Infos einspeisen.
ZaMir ist nicht das einzige Angebot der Bionic Mailbox. Auch zu zahlreichen anderen Themen bieten ihre Datennetze Informationen. Der FoeBuD, Tel. 17 52 54, ist eine Anlaufstelle für technisch interessierte und sozial engagierte User. Einmal wöchentlich treffen sich die Aktiven des Computerclubs in einem Bielefelder Cafe und tauschen Erfahrungen aus. Außerdem organisiert der Verein die Public Domain, eine monatliche Veranstaltung mit Vorträgen und Aktionen zu wissenschaftlichen, kulturellen, politischen und technischen Themen.
Neue Westfälische, 08. April 1995