SPIEGEL ONLINE: Mr. Bachman, das ZaMir Transnational Net (ZTN) ist auf dem Balkan in Kriegszeiten als ein
Computernetzwerk für den Frieden konzipiert worden. Zur Zeit herrscht dort wieder ein - wenn auch zerbrechlicher - Friede.
Welche Aufgabe kann das ZaMir-Netz bei der Sicherung dieses Friedens und beim Wiederaufbau der Region erfüllen?
Bachman: Das ZTN bietet schnelle digitale Kommunikation über die neuen und alten Grenzen hinweg. Es wird vor allem von
Personen und Organisationen benutzt, die sich für eine friedlichere Zukunft in der Region einsetzen. Menschen auf allen
Seiten des Konfliktes machen davon Gebrauch, um direkt mit Menschen auf den anderen Seiten zu kommunizieren. Humanitäre
Hilfsorganisationen koordinieren ihre Arbeit über das Netz.
Unser Projekt "Pisma" (Briefe), das von freiwilligen Mitarbeitern getragen wird, leitet digitale Briefe als Papier-Briefe an
Flüchtlinge in der ganzen Welt weiter. Auch Aufbauhilfe wird über das ZTN organisiert.
Unser Netz ist sehr gut dazu geeignet, Menschen hier, seien es Flüchtlinge oder Hilfswillige, mit Leuten auf dem Balkan zu
verbinden. Es kann genutzt werden, um zu erfahren, wie es tatsächlich dort aussieht. Partnerstädte oder Wirtschaftspartner,
die sich um den Wiederaufbau kümmern, können es verwenden, um mit ihren Partnern vor Ort in Verbindung zu bleiben. Unser
Netz bietet eine Vielfalt von Möglichkeiten. Ob es allerdings dazu beiträgt, den Frieden zu sichern, hängt davon ab, welchen
Gebrauch die Menschen davon machen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben einmal gesagt, daß
Computernetzwerke in Krisengebieten noch wirkungsvoller
wären, wenn man von ihnen schon vor der Entstehung eines
Krieges Gebrauch machen könnte. Der ZaMir-Netzknoten in
Pristine/Kosovo befindet sich in einer gefährdeten Region. Kann
Ihr Netz dort als eine Art Konfliktbarometer dienen?
Bachman: Ein Computernetzwerk allein kann das nicht leisten.
Aber wenn es in Spannungsgebieten von Beobachtern und
Experten vor Ort in Zusammenarbeit mit Experten im Ausland
benutzt würde, wäre es durchaus vorstellbar, daß es als
Frühwarnsystem funktionieren könnte. Man könnte dann
rechtzeitig praktikable Aktionen und womöglich auch Lösungen
anbieten und so Schlimmeres verhindern.
Zur Zeit wird unser Netz zum Beispiel von der Gruppe
"Otvorene Oci" (Offene Augen), einem Projekt des Balkan Peace
Teams, benutzt. Das sind internationale Beobachter, die ins
Krisengebiet eingeladen worden sind, um durch ihrer
Anwesenheit in Spannungsituationen möglichen
Menchenrechtsverletzungen vorzubeugen. Teams in Zagreb,
Split und Belgrad berichten regelmäßig über die Probleme
ethnischer Minderheiten vor Ort. Die internationale
Aufinerksamkeit, die ihre Berichte erfahren, haben einigen
Menschen dort sehr geholfen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es nicht auch eine ganze Reihe
weiterer Krisenherde, wo das ZTN als Modell für die
Friedensarbeit dienen könnte? Zum Beispiel im Bereich
Mazedonien/Griechenland oder in der ehemaligen Sowjetunion?
Bachman: Duchaus. überall, wo es an schneller und
zuverlässiger Kommunikation mangelt, kann so ein digitales
Netz sehr hilfreich sein. Voraussetzung ist natürlich, daß
wenigstens einige Menschen dort an einem Austausch und einer
Zusammenarbeit Interesse haben. Ohne das geht es nicht.
SPIEGEL ONLINE: Der Gebrauch von Computernetzwerken
setzt, besonders in Low-Tech-Umgebungen wie in der Dritten
Welt oder in Kriegsgebieten, einiges Expertenwissen voraus.
Dennoch gelingt es anscheinend gerade dort recht gut, die
Schwellenängste potentieller Benutzer zu überwinden. Sie haben
selbst im ehemaligen Jugoslawien eine ganze Reihe von
Schulungen für Laien durchgeführt. Eignen sich Ihrer Meinung
nach die elektronischen Kommunikationsmedien auch für den
Normalbürger oder bleiben sie letztlich den Spezialisten
vorbehalten?
Bachman: Wo immer ein großer Bedarf an Kommunikation
vorhanden ist, und wo dieser durch ein digitales Netz befriedigt
werden kann, werden auch unerfahrene Menschen sich trauen,
etwas neues zu lernen. Die Menschen, die das ZTN
vorangetrieben haben, waren keine Computerfreaks, sondern
diejenigen, die die neuen politischen Barrieren unterlaufen und
durchbrechen wollten. Viele hatten vorher noch nie Computer
benutzt. Ihre ersten Erfahrungen haben sie mit
E-Mail-Programmen gemacht.
Natürlich sind auch Spezialisten notwendig, um so ein Netz
aufzubauen, aber die kann man inzwischen fast überall finden.
Auch jetzt noch sind die meisten aktiven Teilnehmer auf
unserem Netz Menschen, die keine Computerspezialisten sind.
Allerdings, egal wie hilfreich das Netz ist, es bleibt eine kleine
Minderheit.. die Zugang dazu hat. Vor allem, weil es an
Hardware und der nötigen Infrastruktur mangelt.
SPIEGEL ONLINE: Wie wird es weitergehen mit dem ZaMir
Transnational Net? Was sind Ihre nächsten Schritte und Pläne?
Bachman: Das Netz soll weiterentwickelt werden, um noch
mehr Menschen in der Region einen Anschluß zu ermöglichen.
Wir hoffen auf Unterstützung, um in weiteren bosnischen
Städten Server aufzubauen. Wir wollen auch langsam finanziell
unabhängig werden. Bisher ist alles mit der Hilfe von Spenden
aufgebaut worden und wir sind immer noch von ihnen abhängig.
Ich selbst interessiere mich sehr für den Einsatz dieser
Technologie in Spannungsgebieten, als Hilfsmittel, um die
Entstehung von Kriegen zu verhindern.
Das Interview führte Lorenz Lorenz-Meyer, 39, promovierter Philosoph und Kognitionswissenschaftler.
Spiegel Online, Mai 1996