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Friedensbewegte Datenflüsse

Das ZaMir Transnational Net (ZTN) im ehemaligen Jugoslawien

Von Lorenz Lorenz-Meyer

In Kriegszeiten ist der Zugang zu Information ein Privileg derer, die den Krieg betreiben und von ihm profitieren. Allen anderen bleibt Desinformation und Propaganda, die Erfahrung von Isolation, Ohnmacht und Gewalt.
Anfang der neunziger Jahre brach Titos künstliches Staatsgebilde Jugoslawien auseinander und seine Erben schickten sich an, dem Land mit Waffengewalt neue, mindestens ebenso künstliche Grenzen einzuziehen.
In dieser Zeit bereiste der in Deutschland lebende und arbeitende amerikanische Pazifist und Friedensaktivist Eric Bachman das Krisengebiet im Balkan, um Schulungen über friedliche Konfliktlösungen abzuhalten.
Friedliche Konfliktlösungen jedoch setzen den freien Austausch von Informationen und Standpunkten voraus. Bachman stellte schnell fest, daß in dem zunehmenden Waffengeklirr auf dem Balkan ein solcher Austausch fast unmöglich geworden war. Es gab praktisch keine überregionalen Massenmedien. Die Reisemöglichkeiten waren massiv eingeschränkt. Das Postsystem war zusammengebrochen. Direkte Telefonleitungen zwischen den Konfliktregionen, die schon in Friedenszeiten wegen der schwachen Infrastruktur des Landes knapp und schlecht waren, wurden zusätzlich sabotiert. Die wichtigsten Medien unterwarfen sich freiwillig der jeweils offiziellen, selektiven Sicht der Dinge - oder sie wurden zensiert.
Die Friedensinitiativen in Serbien und Kroatien, mit denen Eric Bachman damals arbeitete, waren fast vollständig voneinander abgeschnitten. Provisorische Abhilfe schafften Faxrelais über das Ausland.
Bachman, aus seiner Friedensarbeit in Deutschland im Umgang mit E-Mail und Computerkonferenzen vertraut, sah eine weit bessere Möglichkeit, die Verbindung zwischen den verschiedenen jugoslawischen Friedensinitiativen wieder herzustellen. Man mußte nur vorhandene Mailboxen in den Dienst der Friedensgruppen stellen und über Telefonleitungen miteinander vernetzen. Der Datenaustausch zwischen Computern war schnell und konnte nachts stattfinden, wenn das tagsüber völlig überlastete jugoslawische Telefonnetz noch halbwegs zu gebrauchen war.
Im Winter 1991/92 begann Bachman damit, das bereits existierende Mailboxsystem AdriaNet in diesem Sinne auszubauen. Modems wurden angeschafft und verteilt, ein Gateway zum GreenNet in London eingerichtet.
Es stellte sich jedoch bald heraus, daß das AdriaNet aus personellen und technischen Gründen der neuen Aufgabe nicht gewachsen war. Deshalb beschlossen Bachman und seine Freunde, für die Friedensarbeit ein eigenes Computernetzwerk aufzubauen. Sie nannten es "ZaMir Transnational Nef (ZTN). "ZaMir" heißt: "für den Frieden".
Schon im Sommer 1992, wenige Monate nach Ausbruch der Kämpfe in Kroatien und Bosnien, standen die ersten beiden Systeme des neuen Netzwerks miteinander in wackeligem Kontakt: ZAMIR-BG in Belgrad und ZAMIR-ZG in Zagreb. Nachdem sich erste Geldgeber für das Projekt gefunden hatten, konnten die geliehenen Computer und Telefonleitungen bald durch eigenes Equipment abgelöst werden. Als besonders spendabel erwies sich der aus Ungarn stammende amerikanische Finanzmagnat George Soros, dessen "Open Society Institute" sich in gewaltigem Maßstab im postkommunistischen Osteuropa engagiert.
< Ein Jahr später arbeitete der Rumpf des ZaMir-Netzes bereits stabil. Im Sommer 1993 waren es 375 Benutzer(innen) in Belgrad und 125 Benutzer(innen) in Zagreb, die über ZaMir miteinander E-Mail austauschten und an elektronischen Konferenzen teilnahmen. Über eine Schnittstelle in Wien hatten sie eine E-Mail-Anbindung ans Internet sowie Zugang zu den Konferenzen der Association for Progressive Communications (APC).
Zagreb entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Zentrum der organisierten elektronischen Friedensarbeit im ehemaligen Jugoslawien. 27 der damaligen 125 ZTN-Teilnehmer in Zagreb waren Organisationen. Der Holländer Wam Kat speiste hier sein inzwischen berühmtes Kriegstagebuch ins Netz ein, und die ehemalige Bankerin Kathreen Turnipseed aus New York startete von Zagreb aus ihre Kampagne der "Electronic Witches", mit dem Ziel, Frauen im Krisengebiet den Zugang zum ZaMir-Netz zu ermöglichen.
Ab Anfang 1994 wurde das Netz weiter ausgebaut. Die große Mailbox BIONIC in Bielefeld übernahm die Funktion als Relais und Schnittstelle zur internationalen Außenwelt. Im Februar 1994 wurde ZAMIR-LJ in Ljubljana eingerichtet, und im März 1994 gelang es Eric Bachman, im belagerten Sarajevo in nur drei Wochen ZAMIR-SA, den ersten bosnischen Knoten des ZaMir-Netzes, einzurichten. Inzwischen gibt es weitere Netzknoten in Pristine, der Hauptstadt der mehrheitlich albanisch besiedelten serbischen Provinz Kosovo, und in der bosnischen Flüchtlingsstadt Tuzla.
Die ZTN-Konferenzen wurden schnell zu einem wichtigen Forum der regionalen Friedensgruppen, Hilfsorganisationen und unabhängigen Medien. In ihnen werden Erlebnisse und Erfahrungen ausgetauscht, Wünsche geäußert, Ankündigungen gemacht. Man kommuniziert in ihnen in der jeweiligen Landessprache. Manche der Konferenzen sind "read only" und dienen alternativen Presseorganen oder anderen Institutionen als Mitteilungsplattforin.
Im April 1995 organisierten das World Media Network gemeinsam mit der Tageszeitung Oslobodenje und dem Rundfunksender Studio 99 aus Sarajevo eine Medienaktion, um die seit drei Jahren andauernde Belagerung der bosnischen Hauptstadt symbolisch zu durchbrechen. Einige Tage lang konnten Menschen über das Internet direkt Kontakt mit den Bewohnern von Sarajevo aufnehmen. Der Inhalt dieses Dialogs wurde von verschiedenen internationalen Tageszeitungen, zum Beispiel der Süddeutschen Zeitung, Lib6ration, und EI Pais, veröffentlicht.
Nach dem Ende der Aktion wurde im ZaMir-Netz eine spezielle Konferenz, die "Sarajevo-Pipeline" installiert, um den begonnenen Dialog fortzusetzen. Über diese Pipeline fließt neuerdings allerdings auch so manches Byte von eher zweifelhaftem Wert: Seitdem amerikanische NATO-Soldaten ihre Friedensmission in Bosnien wahrnehmen, spielt ZaMir auf diesem Kanal nicht selten AFN.
Das ZaMir-Netz hat in den letzten Monaten viel Aufinerksamkeit in den internationalen Medien erfahren. Es gilt mittlerweile weltweit als Vorbild für eine zeitgemäße, am Frieden orientierte Informations- und Medienpolitik in Krisengebieten. Beim Durchforsten der Beiträge in der Sarajevo-Pipeline drängt sich einem jedoch die Frage auf, ob nicht zuviel Offenheit und Publicity dem Projekt eher schaden als nützen. Denn auch das Rauschen in den offenen Informationskanälen des Internet kann eine Form der Desinformation sein.

Lorenz Lorenz-Meyer, 39, promovierter Philosoph und Kognitionswissenschaftler, lebt als freier Autor in Hamburg.

Spiegel Online, Mai 1996

© WWW-Administration, 08 Mar 06