In den Trümmern von Vukovar roch es nach Leichen, und auf den Straßen der kroatischen Hauptstadt Zagreb kochte der Haß gegen "die serbischen Schlächter" über. Die meisten Telefonleitungen zwischen Zagreb und Belgrad waren gekappt - die Funkstille gehörte zum psychologischen Programm der kriegführenden Parteien. Doch Kriegsgegner in Kroatien wie auch in Serbien machten möglich, was nicht gewünscht war: die Kommunikation mit der anderen Seite.
Die Antikriegsgruppen in
Exjugoslawien durchbrachen mit der Unterstützung einiger versprengter
Aktivisten der westeuropäischen Friedensbewegung und mit Hilfe eines
Computers in Zagreb, eines weiteren in Bielefeld, betrieben vom
Mailboxen-Verein FoeBud, und eines winzigen Laptops in Belgrad die
Informationsblockade der Kriegstreiber. Ohne technische Hochrüstung
war das E-Mail-Projekt "ZaMir" ("für Frieden") geboren.
Die Gründerväter um den niederländischen Friedensaktivisten Wam Kat und
den Deutschamerikaner Eric Bachman konnten sich zu diesem Zeitpunkt
kaum ausmalen, was sie da ins Rollen gebracht hatten: E-Mail im
Krieg, das Thema ging durch die Weltpresse. Auf dem Balkan selbst
waren in den Hochphasen def vergangenen vier Kriegsjahre im früheren
Jugoslawien mehr als 5.000 User in das Mailboxen-System
eingetragen. Allein in der belagerten bosnischen Hauptstadt Sarajevo
hingen manchmal mehr als 3.000 ständige Nutzer an einem einzigen
Computer. Damals - im Kriegswinter 1994/95 - hatten die Gründer des
Netzes Internet-Geschichte geschrieben.
Die Systembetreuer von ZaMir
schafften es, mit einem Notstromaggregat des Roten Kreuzes und
abenteuerlichsten Telefonverbindungen den Kontakt zwischen den
Menschen in Sarajevo und ihren Verwandten im Ausland
aufrechtzuerhalten. Das ZaMir-Netz mit seinen Mailboxen in Tuzia,
Sarajevo, Pristina, Ljubljana, Pakrac und dem Teiefonlink von Zagreb
über den FoeBud-Rechner "Bionic" in Bielefeld zurück nach Belgrad
wurde zur Speerspitze der Andersdenkenden in der gesamten
Region. "Slobo und Franjo haben von Anfang an versucht, die
Bevölkerung von der Welt zu isolieren. Das E-Mail-Projekt schien uns
der effektivste Weg, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu
machen", bilanziert Vesna Jankovic von der kroatischen
Oppositionszeitung ARKzin die vier Jahre Netzwerkerfahrung.
Doch heute, ein knappes Jahr nachdem "Slobo" und "Franjo", gemeint sind
Siobodan Milogevid und Franjo Tudjman, die Staatspräsidenten, in
Dayton das Friedensabkommen unterzeichnet haben, müssen sich auch die
E-MailPartisanen auf neue Zeiten einstellen. Das Mailboxen-System,
das sich unter extremen Kriegsbedingungen bewährt hatte, genügt den
zivilen Ansprüchen nicht mehr. "Wir müssen so schnell wie möglich
auch direkte Internet-Zugänge anbieten können", sagt Eric Bachman,
einer der Systembetreuer. "Sonst kehren uns die Leute bald den
Rücken."
Die bunten Bilder des World Wide Web wecken Begehrlichkeiten
auch in den kriegsversehrten Gebieten, die von den Newsgroups von
ZaMir nicht mehr gestillt werden können. "Die Menschen gerade in
Sarajevo sind nach knapp'vier Jahren Blockade hungrig auf
Information." Die Universität der Stadt (und ihre Studenten) rechnet
schon damit, den Lehrstoff aus dem Netz der Netze beziehen zu können,
die Zeitungslektüre im Internet gehört unter den vernetzten
Angestellten des Nfinisteriums in der bosnischen Hauptstadt schon
seit Monaten zum Chic der Nachkriegszeit. Besonders clevere Firmen
eilen den Diplomaten auch in diesem Fall voraus. Eine große
amerikanische Brauerei verkauft nicht nur ihre Getränke, sie
unterstützt auch das erste, unlängst eröffnete Internet-Cafe
von Sarajevo mit einer Satellitenleitung zu
einem Internet-Rechner in New York.
Während die Neue Welt in der zu 60
Prozent zerstörten bosnischen Hauptstadt schon durch die Trümmer
blinzelt, sieht es im kroatischen Zagreb düsterer aus denn je. Den
ZaMir-Betreuern werden in Sachen Internet die Hände festgezurrt. "Wir
hätten schon seit Monaten das Geld für eine Internet-Leitung für ZaMir
in Zagreb zur Verfügung", sagt Burkie Pranke vom ZaMir- Team. Doch
Franjo Tudjmans Regime will seine Kritiker auch im Internet
ausbremsen. Einen vordergründigen Anlaß liefert ihm die Unterstützung
durch die Soros-Foundation des ungarisch-amerikanischen
Devisenspekulanten George Soros. Seit Anfang des Jahres läßt Tudjman
seine Propagandamaschine gegen den Osteuropa-Mäzen Sturm laufen. Damit
steht auch das von Soros maßgeblich mitfinanzierte
Zamir-TransnationalNetwork in der Schußlinie des wahnsinnigen
Staatspräsidenten. Doch die E-Mail-Protagonisten auf dem Balkan lassen
sich nach vier Jahren Zusammenbruch auch von solchen
Schickanierungsversuchen nicht frustrieren. Sie arbeiten am Machbaren
- und können durchaus Fortschritte verzeichnen: Heute braucht
eine-E-Mail von Sarajevo über ZaMir bis ins Internet nur noch maximal
135 Minuten vor einem Jahr waren für diesen Weg noch 12 Stunden üblich
gewesen. Mit dem Angebot "Internet durch E-Mail" soll den
Zamir-Nutzem wenigstens "ein wenig das Gefühl gegeben werden, sie
seien genauso ein Teil des globalen Dorfees", schreibt Burkie
Pranke. "Es gibt immer mehr Provider, auf denen die Web-Seiten mit
einer EMail-Nachricht als Textformate abrufbar sind." Die
Bestellanweisungen für diese Art des Datenverkehrs werden breit unter
den Nutzern gestreut. "Zudem versuchen wir, so viele Schulungen wie
möglich zu machen." Die Anwendungsmöglichkeiten dieses üblicherweise
"Store and Forward" genannten Systems seien längst nicht
ausgeschöpft, meint Burkie Pranke, der dabei nicht nur an die Technik
denkt. Die Vorteile der direkten internet-Nutzung online "sind zwar
ganz nett" sagt Pranke, "und technisch ist dies allessicherlich ein
Fortschritt. Aber sozial halte ich die Entwicklung für einen
Rückschritt." Dumpfes Netzsurfen lenkt ab vom eigentlichen Zweck
eines Netzwerkes, davon ist auch der Systembetreuer der jüngsten und
noch kleinsten ZaMir-Mailbox im westslawonischen Pakrac
überzeugt. "Bei uns hier geht es mehr denn je darum, daß die Menschen
wieder miteinander kommunizieren."
Denn noch ist der Krieg nicht
völlig vorbei. Die kleinste Box innerhalb der ZaMir-Famflie wurde vor
einem Jahr in Betrieb genommen - als Begleitprojekt des
Computerunterrichts an der Hauptschule der Kleinstadt Pakrac. Die
Gemeinde war bis zur Einnahme der früheren Serbischtn Republik
Krajina geteilt. Drei quälende Monate lang mußten die mehrheitlich
kroatischen Familien im Ortszentrum in ihren Kellern ausharren, weil
sie von den serbischen Freischärlern von den Hügeln um den Ort herum
mit 3.000 Geschossen pro Tag bombardiert wurden. Dann begann am
1. Mai 1995 der Gegenschlag mit der Einnahme der Krajina durch die
kroatische Armee. Jetzt flohen die serbischen Bürger der
Kleinstadt. Der Systembetreiber weiß deshalb, daß das ZaMir-Netz
immer noch'gebraucht wird: "Wir müssen helfen. alte Kontakte
wiederherzustellen", sagt er. Und das sei eben auch mit einer
einzigen Mailbox mögfich. Mehr denn je plazieren Vertriebene in den
ZaMir-Brettern Vermißtenmeldungen - eine neue, vorerst nur zögerlich
wahrgenommene Chance vielleicht auch für die Rückkehr der 250.000
kroatischen Serben, die im Frühjahr 1995 aus ihrer Heimat ins fremde
Restjugoslawien geflohen sind.
Frank Hofmann (frank.hofmann@zamir-zg-ztn.apc.org)
ZaMir-Unterstützung: Burkie@zamir-pk.ztn.apc.org
tageszeitung, 24. Oktober 1996